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+ <title>Fragmentarisches</title>
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+<h3 class="section center">Fragmentarisches</h3>
+
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+ <title>Ein Kapitel aus einem fragmentarischen Roman</title>
+</head>
+<body>
+
+<h4>Ein Kapitel aus einem fragmentarischen Roman</h4>
+
+<p>
+Der Doktor Bryller ist schließlich doch Oberlehrer geworden.
+Einer, ein wütender Feind, hatte ihm schon vor Jahren in der
+veralteten Zeitschrift: »Das andere A« solch Schicksal
+prophezeit. Damals war er zu Tode traurig über die
+Erkenntnis des Feindes, deren Wahrhaftigkeit er nach
+heftigem Nachdenken nicht leugnen konnte. Er schrieb einen
+maßlosen Artikel, der nirgends angenommen wurde. Und eines
+Abends betrank er sich ein wenig mit französischem Sekt, um
+die angeborene Angst umzubringen, die ihn hinderte, den
+Feind zu verhauen. Aber seine Feigheit verließ ihn auch in
+der Trunkenheit nicht. Da gab er, unsagbar unglücklich, auf,
+sich zu rächen.</p>
+
+<p>
+Er begann offiziell, einsam und verklärt zu leben. Er teilte
+dies mit; agitatorisch, wie er oft das Programm einer neuen
+Kunstrichtung verkündet hatte. Und mit einer innersten
+Feierlichkeit wie bei einem bedeutenden Begräbnis. Noch
+seine Niederlage nutzte er aus, sich überlegen zu fühlen. Im
+Grunde lebte er kaum anders als bisher. Nur daß er
+tatsächlich seelisch trostloser geworden war. Jetzt mußte er
+sich so beruhigen: Selbst wenn ich erreichen könnte, was ich
+erreichen wollte, würde ich nichts erreichen. Während er
+vordem so gedacht hatte: Zwar ist leider richtig, daß ich
+nichts erreichen kann, aber was ich erreichen kann, ist
+ziemlich schön.</p>
+
+<p>
+Praktisch, wie Berthold Bryller in gewissen Beziehungen war,
+wußte er seine Schwächen allgemein menschlich aufzufassen,
+so daß die Verzweiflung, die sich anfangs in hysterischen
+Anfällen besonderer Art offenbart hatte, bald &ndash; bis auf
+seltene Zustände &ndash; dem Gefühl einer erhabenen
+Gleichgültigkeit wich. Nach wie vor schrieb er seine frechen
+und unvorsichtigen Briefe, die ihm viel schadeten,
+veröffentlichte er besonders kluge, etwas wahnsinnige
+Aufsätze in den wenigen Blättern, mit deren Herausgebern er
+zufällig nicht verfeindet war, gründete er Clubs, die ihn
+ausstießen, Zeitschriften, in denen er bekämpft wurde. Nach
+wie vor machte er sich auch sonst durch seine Beteiligung
+überall unmöglich. Uneingeweihte würden allerdings den
+Umstand, daß er nicht mehr in dem Café Klößchen zu sehen
+war, als ein Zeichen seiner innerlichen Verwandlung bemerken
+können, wenn nicht ein an der Tür des Cafés befestigtes
+Plakat:</p>
+
+<p>
+Bryllern ist der Eintritt verboten!</p>
+
+<p>
+Veranlaßt hätte, einen Streit mit dem Wirt als Ursache
+seines Fernbleibens anzunehmen. </p>
+
+<p>
+Aber allmählich wurde dem Doktor Bryller, der doch kein
+Trottel war, das hoffnungslose literarische Dasein
+unausstehlich. Hinzu kam, daß seine Geldmittel in absehbarer
+Zeit erschöpft waren. Er mußte also, unfähig, sich
+gegebenenfalls zu töten, bedacht sein, durch Arbeit seinen
+Lebensunterhalt zu beschaffen. Die schriftstellerische
+Tätigkeit war pekuniär ungefähr erfolglos. In eine feste
+literarische Stellung zu treten &ndash; etwa als Redakteur &ndash;,
+würde er nicht über das Herz gebracht haben, abgesehen
+davon, daß ihn niemand genommen hätte. Was blieb ihm, als
+mit dem Rest seines Kapitals die unterbrochenen
+Universitätsstudien fortzusetzen, die notwendigen
+Staatsexamina zu machen, sich als Oberlehrer eine
+gesicherte, ganz angenehme Position zu schaffen. übrigens
+war ihm dieser Beruf durchaus bequem. überzeugt von der
+unverbesserlichen menschlichen Fehlerhaftigkeit, die er an
+dem eigenen Leibe erfahren hatte, durchdrungen von der
+vollständigen Zwecklosigkeit körperlichen und geistigen
+Strebens, ließ er gern jeglichen Trieben ungehemmten Lauf.
+Seinen Herrschergelüsten, seinem sonstigen Ehrgeiz, sogar
+seinen erotischen Bedürfnissen konnte er als Oberlehrer am
+ehesten Genüge tun.</p>
+
+<p>
+Der Doktor Bryller war trotz seiner Launenhaftigkeit und
+häufigen Sonderbarkeiten einer der beliebtesten Lehrer des
+Grauen Gymnasiums. Die kleinen Zöglinge vergötterten ihn,
+die größeren hingen ihm leidenschaftlich an. Natürlich gab
+es auch Schüler, die ihn nicht mochten. Zum Beispiel der
+Quintaner Max Mechenmal, den er einige Male ohne
+auffallenden Grund geohrfeigt hatte. Das hätte für Doktor
+Berthold Bryller beinahe unangenehmste Folgen gehabt.
+Gelegentlich der auf die entrüstete Beschwerde des
+Quintaners von dem Direktor Rudolph Richter einberufenen
+Lehrerkonferenz zeigte sich, daß die große Mehrzahl der
+Kollegen im Gegensatz zu den Schülern dem Doktor keineswegs
+freundlich gesinnt war. Als er auf die Frage, warum er
+geschlagen habe, lächelnd erwiderte, weil ihm Mechenmal
+mißfalle, wollte man, dem Vorschlag des angesehenen Kollegen
+Lothar Laaks folgend, der vorgesetzten Behörde empfehlen,
+ihn für längere Zeit zwecks geistiger Erholung in ein
+Sanatorium zu entfernen. Nur der Zufall, daß der gekränkte
+Quintaner Mechenmal ein bei Lehrern und Schülern in gleichem
+Maße verhaßtes Individuum war: Wegen seiner
+katzenfreundlichen Verlegenheit und heimlich aufhetzenden
+Bosheit, hinderte einen solchen Entschluß. Obwohl der
+Kollege Laaks &ndash; der einzige, der für Mechenmal Worte der
+Anerkennung fand &ndash; unter Aufwand vieler schmutziger
+Dialektik feurig dafür eintrat. Man begnügte sich, den Herrn
+Doktor Bryller auf das Ungehörige seiner Handlungsweise
+drohend aufmerksam zu machen.</p>
+
+<p>
+*</p>
+
+<p>
+Etwa ein halbes Jahr vor der endgültigen lebenslänglichen
+Verwahrung Berthold Bryllers in einem staatlich
+subventionierten Irrenheim war ein Geschrei auf dem Hof des
+Grauen Gymnasiums. Ein Haufen zumeist kleinerer Schüler
+wälzte sich hinter einem zwergenhaften, vergrämten, schiefen
+Jungen, dessen Rücken die zarten Anfänge einer
+Buckelkrümmung aufwies. Man rief ihm vergnügt und gehässig &ndash;
+in dem Lärm unverständliche &ndash; sicherlich bösartige Neckworte
+zu. Er wurde gestoßen, so daß er stolperte. Viele ältere
+Gymnasiasten sahen das muntere Treiben belustigt an. Auch
+der Oberlehrer Laaks, der die Aufsicht führte, unterdrückte
+nicht ein vergnügtes Schmunzeln. In einem Fenster war das
+regungslose Gesicht des Doktor Bryller.</p>
+
+<p>
+Der schiefe Junge ging, ohne sich zu wehren. Gebückten
+Kopfes. Oft mußte er mit der Hand über die Augen wischen.
+Nur einmal, als einer der Übermütigsten &ndash; natürlich der
+Quintaner Mechenmal &ndash; ihm unter johlendem Beifall der
+anderen in das Gesicht spie, warf er sich tief aufweinend
+gegen den Angreifer; der lief sofort davon. Mitten durch den
+Haufen, der ihm jubelnd überall den Weg verstellte,
+verfolgte der weinende Bucklige den Kameraden. Er würde den
+Mechenmal vielleicht auch erreicht laben, wenn nicht der
+langjährige Untertertianer Spinoza Spaß ihn plötzlich an dem
+Buckel wie an einem Haken festgehalten hätte. Spinoza Spaß
+grinste gemütlich und boshaft das affenförmige, sehnsüchtig
+phlegmatische Gesicht entlang, als er den kleinen
+verzweifelten Kohn wie ein Gewicht langsam durch die sonnige
+Frühlingsluft bewegte. Er ist durch diese Heldentat einer
+der berühmtesten Untertertianer des Grauen Gymnasiums
+geworden.</p>
+
+<p>
+Vorzeitig machten dem sonderbaren Schauspiel einige
+miteidige größere Gymnasiasten ein Ende. Der hagere, bleiche
+Primaner Paulus entriß den winzigen unglückseligen Menschen
+dem giftig dreinblickenden Spaß und bedrohte jeden mit
+Schlägen, der den schiefen kleinen Kohn weiterhin belästige.
+Aus Furcht vor Paulus und einigen Gleichgesinnten ließ man
+auch &ndash; wenigstens vorläufig &ndash; den glühenden Buckligen in
+Ruh. Der drückte sich die grauen Mauern entlang. Und wäre am
+liebsten versunken. Froh war er, als die Schulglocke das
+Zeichen gab, in die Klassenstuben zu verschwinden.</p>
+
+<p>
+Der Primaner Peter Paulus war schon auf dem etwas finsteren
+Gange zu dem geräumigen Zimmer, in welchem der Pastor
+Leopold Lehmann den Schülern der oberen Klassen hebräischen
+Unterricht zu erteilen pflegte, als der Oberlehrer Laaks ihn
+einholte, ihn anrief, ihn in ein geheimnisvolles, sehr
+aufgeregtes Gespräch zog. Laaks machte dem Paulus
+anscheinend Vorwürfe. Merkwürdig war aber, daß er nicht
+aussah wie ein Lehrer, der den Schüler zurechtweist, sondern
+etwa wie ein mißtrauischer Verwandter, der sich in einer
+Erbschaftsangelegenheit übervorteilt glaubt. Auch das
+Verhalten des Primaners war durchaus nicht das Verhalten
+eines Untergebenen&hellip;</p>
+
+<p>
+Die Unterredung der beiden mußte sich wohl sehr ausgedehnt
+haben. Denn als Peter Paulus noch bleicher als sonst eintrat
+und das zu späte Kommen mit einem dienstlichen Gespräch
+entschuldigte, hatte der Pastor Lehmann das eigentliche
+Pensum längst erledigt; war in einer religiösen Diskussion
+begriffen, die er in moderner Weise regelmäßig an den
+hebräischen Unterricht knüpfte. Man sprach gerade über Gott
+und studentisches Wesen, kam aber nach einigen unwichtigen
+Erörterungen zu dem Thema: Abtreibung und Seelenleben, bei
+dem man verharrte. Den Anlaß hatte eine Mitteilung in einem
+Artistenfachblatt gegeben, die einer sich ausgeschnitten und
+zwecks Auseinandersetzung mitgebracht hatte. Der Pastor las
+vor:</p>
+
+<p>
+Zusammenbruch der berühmten Tänzerin Lola Lalà.</p>
+
+<p>
+Die rühmlichst bekannte Varietétänzerin Lola Lalà, die auch
+unter der Bezeichnung Lola Lalà auftrat und deren
+Mädchenname Leni Levi ist, mußte, wie ein Korrespondent uns
+drahtet, in eine Irrenanstalt gebracht werden, was
+gewaltiges Aufsehen erregte. Man fand die Bedauernswerte in
+Adamskostüm splitternackt gegen Morgen auf einem Weizenfeld
+bitter weinend eine schwere Zigarre rauchend. Herr
+Gottschalk Schulz, ein zartfühlender Poet, hat in der
+»Zeitung für erhellte Bürger« darüber ein ergreifendes
+Gedicht veröffentlicht, das einen pikanten Reiz dadurch hat,
+daß &ndash; so munkelt man wohl nicht mit Unrecht &ndash; der Dichter zu
+der armen lieblichen Tänzerin recht herzliche Beziehungen
+unterhielt. Deshalb sei dies schöne Gedicht unseren Lesern
+nicht vorenthalten: &ndash; &ndash; &ndash;</p>
+
+<p>
+Das Gedicht hatte die Überschrift: Der Rauch auf dem Felde.
+Der Pastor las es aber nicht vor, weil es zu zotig sei. Auch
+nicht zur Sache gehöre. Dagegen las er:</p>
+
+<p>
+Wie ich aus besonderer, authentischer Quelle in später
+Abendstunde noch erfahre, soll die Ursache des seelischen
+Zusammenbruchs der Tänzerin ein nach glücklich erfolgter
+<span class="spaced">Abtreibung</span> durch einen Einbruch
+verursachter Schreck gewesen sein. Eine gerichtliche
+Untersuchung ist eingeleitet.</p>
+
+<p>
+Danach begann der Pastor eine Rede über die Abtreibung so:
+»Die Erkenntnis des Menschen gipfelt darin, daß er das am
+höchsten entwickelte Erdwesen sei. Das kann kein Mensch
+bestreiten.« Er bemerkte nicht das absichtlich übertrieben
+unterdrückte Lachen einiger. Und langsam fuhr er fort. Er
+verurteilte die Abtreibung als Gott ungefällig vom
+religiösen und sozialpolitischen Standpunkt aus. Zum
+Schlusse sagte er: »Wir sind modern. Wir scheuen uns nicht,
+anstößige Fragen mit sittlichem Ernst zu behandeln.« &ndash;</p>
+
+<p>
+Der einzige, der widersprach, war Peter Paulus. Er geriet &ndash;
+äußerlich ruhig &ndash; in solche Wut, daß er sagte: »Wenn ich
+Arzt wäre, Herr Pastor, würde ich selbst &ndash;« da sagte erregt
+der Pastor: »Glauben Sie an Gott, Paulus?« Und Peter Paulus
+sagte nur: »Nein.« Er wurde einige Minuten vor Schluß der
+Lehrstunde wegen Sozialdemokratie und Gottlosigkeit von dem
+hebräischen Unterricht ausgeschlossen.</p>
+
+<p>
+Trotzig ging er hinaus. Warf die Tür.</p>
+
+<p>
+*</p>
+
+<p>
+Als der verwitwete Gefängnisgeistliche Christian Kohn sein
+einziges herz- und geisteskrankes Kind in eine Anstalt geben
+mußte, adoptierte er &ndash; niemand weiß warum &ndash; einen kleinen
+Krüppel. Man schwatzte vielerlei. Am hartnäckigsten erhielt
+sich das Gerücht, der Krüppel Kuno sei ein natürlicher Sohn
+des Geistlichen. Die Mutter sei die populäre Totschlägerin
+Trude, die ihren abtrünnigen Zuhälter erschossen hatte.
+Trude war, weil sich herausstellte, daß sie trächtig war,
+unter jubelndem Beifall des ganzen Volkes begnadigt worden.
+Man behauptet, der mitleidige Geistliche habe Trudes
+Schwangerschaft bewirkt. Doch ist das nicht nachgewiesen.</p>
+
+<p>
+Kuno Kohn verbrachte die erste halbwache Jugend in den
+trostlosen steinernen Räumen und Höfen des Zuchthauses. Der
+Adoptivvater kümmerte sich wenig um den Jungen. Wochenlang
+ließ er sich nicht sehen. überlassen einer mürrischen
+Dienstperson, die in der Hauptsache die dürftige Wirtschaft
+des Geistlichen besorgte, ohne ausreichende Pflege, ohne
+Spielgenossen, ohne Anregung und Liebe konnte sich das
+krüpplige Kind nicht entwickeln. Blieb immer zwergenhaft.
+Blaß und verträumt schlich er einher. Verschüchtert und
+furchtsam. Gegen Abend wimmelte es auf den winkligen Treppen
+mit vergitterten Fenstern, in den großen düsteren Hallen und
+Gängen von verwegenen Schatten und schauerlichen Geräuschen.
+Ein Robusterer würde solche peripherischen Dinge nicht
+beachtet haben, wenn er sie überhaupt bemerkt hätte. Aber
+auf den Kuno Kohn drang das Geringste ein, das
+Nebensächlichste hatte Bedeutung, entsetzte ihn. überall und
+von allem fürchtete er Unheil. Nichts war ihm vertraut. Die
+ewige Angst machte ihn selbst zu einem kleinen huschenden
+Gespenst und gab seinen schwindsüchtigen Augen
+phosphorisches Leuchten. Wenn er zu später Stunde
+weggeschickt wurde, etwa um Milch zu holen oder Petroleum,
+betete er in fiebriger Inbrunst zu dem lieben Gott. Atemlos
+und kalkig kam er wieder.</p>
+
+<p>
+über alles fürchtete Kuno Kohn die tausendfältige Finsternis
+vor dem Einschlafen. Früher hatte man ihm eine winzige Lampe
+in das Zimmer gestellt, deren rötlicher melancholischer
+Schein ihn etwas beruhigte. Auf der weichen Wand tauchten
+sonderbarste Fratzen auf und Kämpfe, aber auch
+Zinnsoldatenmärsche und ergötzliches Durcheinander von Feen
+und Kuchenläden und Königinnen, bis ein Schlaf kam. Seit
+einiger Zeit wünschte der Geistliche solche Verweichlichung
+der Seele seines Sohnes nicht mehr. Kuno mußte in dem
+Dunkelen leben. Weg war das bißchen Sichtbarkeit. Das
+unzählige unfaßbare Geschehen des Chaos kugelte sich um den
+kleinen Menschen. Mehr Welt drängte sich in dem kurzen
+Nachtzimmer des Buckligen, als der ganze große Tag enthielt.
+Kuno Kohn hatte den Körper, der in dem Bett liegen sollte,
+verloren: War nur noch Schreck und Hilflosigkeit und
+Sehnsucht. Am schlimmsten war, wenn sich das wüste Ungefähr
+zu Erscheinungen oder Berührungen verdichtete. Dann schrie
+der Kohn verzweifelt auf. Entweder hörte man den Aufschrei
+nicht oder legte ihm keine Bedeutung bei. In Gefängnissen
+schreit es immer in der Nacht irgendwo. Kuno lag oft lange,
+bis das unergründliche Loch, das so viel unbegreiflichen
+Inhalt hatte, die lebhaften Bilder einließ, die Traum und
+Schlaf brachten: Einbrecher, oder vielleicht eine
+Droschkenfahrt in der Sonne, einen Besuch bei dem kleinen
+kranken Bruder, ein Spiel mit Straßenkindern, die lieben
+traurigen Engelaugen der Maria Müller, für die man sterben
+möchte.</p>
+
+<p>
+Des Kuno Kohn gute Bekannte waren die Gefangenen. Nicht die
+Wächter; die waren zwar recht freundlich zu ihm, aber ein
+instinktives Mißtrauen herrschte verborgen. Dagegen die
+Totschläger und Spieler, Lustmörder und Räuber, die
+berühmtesten Einbrecher und die Mehrzahl der sonstigen
+distinguierten Alteingesessenen begrüßten den kleinen
+Buckligen herzlich durch geringes Kopfnicken oder fast
+unmerkliches Grinsen, sooft er kam, der stummen grauen
+Arbeit mit aufgerissenen Träumeraugen zuzusehen. Nur die
+Hehler, Wucherer, Hochstapler, Defraudanten, Bauernfänger,
+die meisten Bankerotteure und manche Zuhälter blieben
+unerfreut. Besonders angefreundet hatte sich Kuno Kohn im
+Laufe der Jahre mit dem jugendlichen Einbrecher Benjamin.
+Die beiden saßen oft stundenlang zusammen. &ndash; Die Wächter
+drückten ein Auge zu &hellip; Benjamin erzählte dem Buckligen
+schwärmend. Von Sonne. Und Freiheit. Und der Erlösung der
+Menschen. Kuno Kohn vermittelte den geheimen Verkehr
+Benjamins mit der Außenwelt und erwies dem Freunde allerlei
+Gefälligkeiten, er verschaffte ihm Zigaretten, Bücher,
+kleine Werkzeuge. Als einmal in dem Käfig Benjamins ein Band
+Goethe und etwas Zigarettenasche gefunden wurde, hatte man
+Kohn in Verdacht. Nach dem kurz darauf erfolgten Ausbruch
+des Einbrechers, der nur mit fremder Hilfe geschehen sein
+konnte, machte man dem Geistlichen Mitteilung. Der verbot
+dem Sohn das Zusammensein mit den Eingesperrten. Die Wächter
+durften ihn nicht mehr einlassen.</p>
+
+<p>
+Die großen Probleme, die den Kuno Kohn, sobald er
+einigermaßen denken konnte, immer wieder quälten, waren
+hauptsächlich Tod und Gott. Im Alter von vier oder fünf
+Jahren glaubte er nicht an den Tod, wenigstens nicht an
+seinen. Und er betete täglich zu dem lieben Gott, bevor er
+sich hinlegte: »Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll
+niemand drin wohnen als Gott allein.« Aber wenn er während
+des Tages etwas getan hatte, was ihm sündhaft erschien &ndash; und
+das geschah fast immer &ndash;, fügte er (im Bett sitzend;
+stehend, wenn es besonders schlimm war) lange und reumütige
+Monologe hinzu, bis er, übermüdet, mit noch gefalteten
+Fingern und Tränen einschlief. Wenn Finsternis und Angst
+kamen, betete er immer. Allmählich mehrten sich die Zweifel.
+Er mußte an seinen Tod glauben und den Glauben an Gott
+verlassen. Als er in die Schule kam, begann die Fülle von
+Leiden, die für manche Kinder damit verbunden sind.</p>
+
+</body>
+</html>
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+++ b/OEBPS/Text/prosa/fragmentarisches/02_notizen_zum_roman.html
@@ -0,0 +1,263 @@
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+ <title>Notizen zum Roman</title>
+</head>
+<body>
+
+<h4>Notizen zum Roman</h4>
+
+<p>
+Das Ende</p>
+
+<p>
+Irrenhaus: Bryller, Lola.<br />
+Ertrinken im Meer: Kohn, Maria.<br />
+Selbstmord: Schulz, Paulus.<br />
+Lebenbleiben: Spinoza Spaß, Laaks, Mechenmal.</p>
+
+<p>
+I. Auftritt im Schulhof. Peter Paulus für, Laaks gegen Kohn
+(Kohn hatte sich verunreinigt, Max Mechenmal). Später Kohn
+an Paulus sich anschließend gegen Laaks. Eifersuchtsszenen.
+Infolge der Laakschen Intrigen fällt Paulus durchs
+Abiturium, schießt sich tot. Abschiedsbriefe (rührend an
+Kohn, offizielles Begräbnis, Kohn rennt davon).</p>
+
+
+<p>
+Oberlehrer Dr. Bryller läßt alles geschehen, redet dem
+geliebten Paulus sogar zu, sich zu töten: Töte dich, ehe es
+zu spät ist (solange du noch dazu fähig bist). Es hat zwar
+keinen Zweck, bereitet dir aber etwas wie Genugtuung. (Gott
+ist eine Zeiterscheinung.)<br />
+Die Leiche wurde wohlverpackt in einem Kasten auf den
+Friedhof getragen, wo man sie unter einer Garderobenmarke
+für ewig abgelegt.</p>
+
+<p>
+II. Szene Kohn, Laaks in Badewanne.<br />
+Laaks machte einen Angriff auf Maxens Weiblichkeit. &ndash; Laaks
+und Kohn treffen sich. Kohn grüßt, Laaks holt ihn ein. Lädt
+ihn ein. »Nein, Herr Oberlehrer.« Kohn zittert &ndash; &ndash; »wollen
+Sie ein Bad nehmen?« &ndash; »Ich habe schon gebadet.«&ndash;
+Mondlichtbeleuchtet die beiden in der Badewanne. In haariger
+Nacktheit &ndash; seine behaarten Weiberbeine &ndash; ein Männerfreund.</p>
+
+<p>
+III. Szene in homosexueller Kneipe.</p>
+
+<p>
+(Siehst du, mein Junge, so ist das Leben &ndash; er kniff ihn
+zärtlich in den Hintern.)</p>
+
+<p>
+IV. Abtreibungsszene.</p>
+
+<p>
+Die Varietétänzerin Lola Lalà: Die kluge Frau sagte
+scherzend: Wenn Frauen auseinandergehen, dann bleiben sie
+noch lange stehn. &ndash; &ndash; Auf Wiedersehn, mein Fräulein. Lola
+Lalà, alias Lene Levi läuft wie wahnsinnig.</p>
+
+<p>
+V. Einbruchsszene bei Lola:&ndash;&ndash;&ndash;&ndash;&ndash;&ndash;&ndash;&ndash;&ndash;&ndash;&ndash;&ndash;&ndash;&ndash;&ndash;<br />
+
+&ndash; &ndash; Der berufsmäßige Einbrecher Benjamin, der unter dem Bett
+lag, wußte nicht, was er dazu denken sollte. Sein Kopf
+schüttelte sich, dabei stieß der Hirnschädel einen sinnlosen
+Bettpfosten, der daraufhin einen starren Ton von sich gab.
+Der Mann Benjamin erschrak. Die Lampe fiel um. Gardinen
+brannten sofort.<br />
+Plötzlich hatte sich auch ihr (Lola Lalà) Körper erschreckt.
+Alles in der Fresse von schleckerndem Feuer. Lief hinaus.
+Tür zu. Schloß ab. Zweimal. Sinnlos. Plötzlich hinter der
+Tür Männerrufe, kläglich: Hilfe, Hilfe. Schrie sie: Mörder,
+Mörder, Mörder. Rannte. Auf der Straße im Frieden des
+Abends: Leute aus Häusern. Ratlos. Die Rennende an allen
+vorüber. Mörder, Mörder ... Eine Verrückte hinter ihr her.
+Einem Hundefänger gelang, sie zu fassen. Mörder, Mörder. Mit
+ihr in offener Droschke und durch die Stadt. Mörder, Mörder.
+Fenster auf, Wagen bleiben stehen. Gelaufe. In
+Irrenabteilung des Krankenhauses.<br />
+Inzwischen brennende Stube. Einbrecher Benjamin auf Fenster
+strampelnd: Hilfe. Unerlaubte Handlung. Hilfe. Da soll man
+nicht Sozialdemokrat werden. Heulend: Falle der Polizei,
+anständigen Menschen verbrennen lassen. Hilfe, Hilfe.
+Feuerwehr kommt. Hilfe. Wasser bespritzt ihn. Vom Regen in
+die Traufe. Kann ja auch gleich in den Fluß springen.
+Ersäuft.<br />
+Als die halbverweste Leiche aus dem Wasser gezogen wurde,
+fing der noch betrunkene Arzt an, faule Witze zu machen. Dr.
+Bryller übergab sich.<br />
+Alles Reden, Denken, Dichten ist unnütz; eine aus dem Wasser
+gezogene vor dir im Tode liegende Leiche macht alles
+Geschreibe zuschanden mit ihrer schrecklichen Verzerrtheit.
+Sieh, wie das Gesicht und die Hände im Krampf wie in Eisen
+gegittert sind! Wie sie schreiend aus sich heraus wollen!</p>
+
+<p>
+Vl. Irrenhausszene: Die rothaarige verrückte Schwester des
+Martin Müller (Maria).<br />
+»Die Erde wird dunkel«, sagte die verrückte rothaarige
+Schwester des Martin Müller, Maria. (Sie liebt ihren
+Bruder.) Den kleinen Kohn streichelt sie, aber: »Ich kann
+nur Heilige lieben«, sagt sie. Die Melodien des Abends, der
+wie Seidenschleier alles verhüllt: Die grünen Bäume, den
+sehnsüchtigen Erdboden, die Bank mit dem rothaarigen Mädchen
+und dem kleinen Buckelkohn, &ndash; waren ringsum.<br />
+In der Irrenanstalt: Die eine Insassin war schon eine
+ziemlich angegraute Dame, die sagte: »Wenn man sich schon so
+lange hier aufhält, bleibt man da.« &ndash; Ein moderner
+Schriftsteller, der sich einbildet, er sei nur dort, um das
+Milieu zu studieren, in Wirklichkeit aber Gehirnerweichung
+hat. Etc.</p>
+
+<p>
+VII. Kohns erste Geliebte (auf Laaksens Veranlassung):<br />
+Hysterische Person, die Wanzen krochen nur so in der Küche
+herum.</p>
+
+<p>
+VIII. Das Ende des Dr. Bryller.</p>
+
+<p>
+IX. Schriftsteller Schulz und Kokotte Kitty.<br />
+(»Nicht so laut«, sagte Kitty, als Schulz ihr von Gott
+erzählte.)</p>
+
+<p>
+X. Vortrag des Gelehrten Neumann:<br />
+Sensation: Ein erst sechzehnjähriger Gelehrter namens
+Neumann spricht über Mutterschutz und Kindererziehung &ndash; &ndash; &ndash;
+scheint ihm hier nicht der Ort, über gefallene Mädchen zu
+reden &ndash; &ndash; &ndash; die Frau hat eingesehen, daß ihr der Platz
+gebührt, auf den sie gehört &ndash; &ndash; &ndash; das Elend der Prostitution
+&ndash; &ndash; posierte Handbewegungen. Stimme. Augenbrauen in die Höhe
+ziehen. Ich muß mich in Extremen ausdrücken. Ich muß den
+Zionismus als eine besondere Abart der Prostitution
+entschieden verurteilen. Mutterschutz: Die Mutter muß gegen
+ihre Kinder geschützt werden (neue sensationelle
+Auffassung), sagte eine Dame.<br />
+&ndash; &ndash; &ndash; Sie, eine Germanistin, warf in die Debatte: »Wo du
+deinen Glauben gelassen hast, mußt du ihn holen.«</p>
+
+<p>
+XI. Kohns zweite Geliebte: Backfisch (in der einen Hand
+hatte sie eine illustrierte Himmelskunde).<br />
+Er liebte sie in der Weise: Er schrieb sich häufig auf, wenn
+sie etwas Komisches sagte, um es später zu verwenden
+(schriftstellerisch). Aber in einem Kaffeegarten an einem
+Teich &ndash; überall war schon Abend, und Dunst hing wie Schleier
+an den Bäumen und Tischen und Kellnern &ndash; nahm er sein
+Notizbuch aus der ausgerissenen Innentasche seines
+Oberrockes und las ihr leise vor ... Sie lachte und er
+lachte &ndash; stiller und unglücklich. Jeder dachte: Das ist
+nicht das Richtige ... Sie dachte noch: Der ist nicht
+innig... Er dachte noch: Das arme Ding, wie fern ist sie
+mir... Dann gingen sie rudern.</p>
+
+<p>
+XII. Kneipenszene in Nürnberg: Kunstmayer.<br />
+Alle selig besoffen, können kaum noch richtig sprechen.
+Lallen. Einer sagt: »Dede do dadä.« &ndash; &ndash; &ndash; Ob sichs lohnt um
+dieser tierisch Dahindösenden? &ndash; &ndash; &ndash; »Sieh, wie ein
+Ochsenauge ist der Blick dieses Arbeiters nach innen
+gekehrt«, sagte Paulus.<br />
+»Die oberen Zehntausend regieren die Welt«, brummte der
+Kellner bitter, dann spielte er eine wilde Variation von
+»Puppchen, du bist mein Augenstern« auf einer Mundharmonika.
+Von Zeit zu Zeit schlug er dann gegen eine Kante. Die Hand
+rieb er an einem Ärmel oder Hosenbein blank.<br />
+Karl Kunstmayer, heruntergekommener Kabarettist: Ich
+schweinigle gern... &ndash; Ein ganz famoser Kerl, philosophisch
+tip top, aber ist zu ideal &ndash; &ndash; &ndash;<br />
+man war in wehmütiger Stimmung. Kunstmayer sang leise: »Das
+haben die Mädchen so gerne.«</p>
+
+<p>
+XIII. Ertrinken im Meer.<br />
+Ich habe eine Angst, daß auch das Mädchen ersoffen ist.
+Nebenbuhler in dem Meer verunglückt (ertrunken). »Es ist
+gemein, daß man darüber höchstens ein Gedicht machen kann
+oder plötzlich den Schluß zu einer Geschichte findet«,
+schrie der tote Kohn. Während sie gingen, fanden sie überall
+weiße Sonderblätter der Zeitung über das Geschehnis. &ndash; &ndash; &ndash;
+»Das ist eine Brutalität«, sagte ein anderer. »Dies ist der
+richtige Ausdruck.« &ndash; »Endlich!« Seufzte erlöst ein anderer.
+Kohn schrie: »Ich will aber keinen Schluß zu einer
+Geschichte haben. Das ist gemein. Ich komme von Sinnen.
+Aufpeitschen will ich. Quälen will ich euch, nicht euch
+befriedigen. Heulschreie müßt ihr aus euch stoßen. Ihr müßt
+euch auflösen in Schmerzen.« Der tote Kohn wurde nicht
+empfunden.</p>
+
+<p>
+Detektiv Daniel</p>
+
+<p>
+ein Gewitter machte Krach. Der Detektiv Daniel fuhr aus dem
+Schlaf. Er sagte: »Die verfluchte Ruhestörung.« Da klopfte
+es erregt an die Tür. Die Tänzerin Lola Lalà fand sich
+ein.<br />
+»Es gibt viel zu wenig Einbrecher«, sagte der Detektiv
+Daniel. »Es gibt weniger Mörder, als man denkt«, sagte
+Daniel, die ängstliche Frau beruhigend.</p>
+
+<p>
+Max Mechenmal</p>
+
+<p>
+er nahm das junge Ding, nachdem er sich erst nach dem Alter
+erkundigt hatte, nur erotisch überlegend, daß er zu ihr
+Liebesworte spreche und sich im stillen darüber lustig
+mache, also ein recht schlechter Kerl sei. Einigermaßen
+stolz auf die Erkenntnis seines schlechten Charakters,
+beruhigte er sich und beschloß, das Ding zu vergewaltigen.</p>
+
+<p>
+Berthold Bryller</p>
+
+<p>
+»Kuno Kohn ist dasselbe in Grün, was Else Lasker-Schüler in
+Blau ist«, sagte Bryller.<br />
+Wenn er ein Mädchen loswerden wollte, erzählte er ihr
+wunderschön-rührend von seiner Lues, stellte sich als
+Märtyrer dar, der um ihrer Gesundheit willen das Opfer
+bringe. Die meisten Mädchen hielten ihn weinend für einen
+bedeutenden und sehr edlen Menschen. Nur eine fragte einmal
+unverschämt, warum er das nicht vorher erzähle.<br />
+Gegensatz zwischen dem wurstigen gewandten Nihilismus
+Bryllers und der reinen Verzweiflung des Paulus.</p>
+
+<p>
+Oberlehrer Laaks</p>
+
+<p>
+ich habe Sehnsucht, Liebe und was weiß ich für sie. &ndash; Da
+könnten komische Dinge geschehen.</p>
+
+<p>
+Lola Lalà</p>
+
+<p>
+sie prahlte mit ihrer zeitweisen und teilweisen
+Unberührtheit.<br /> Sie sagte: Wie gesagt, ich bin
+sichtlich erschrocken. &ndash;&ndash;Ich &ndash;&ndash;
+&ndash;&ndash;finde dies mit Recht &ndash;&ndash;
+&ndash;&ndash;albern. &ndash; &ndash; &ndash; Diese
+&ndash;&ndash; &ndash;&ndash;wirklich kurzen Zeilen.
+&ndash;&ndash; &ndash;&ndash;&ndash;&ndash;&ndash; Er liebt
+mich nur erotisch. &ndash;&ndash;&ndash; Ich lüge ja immer.
+&ndash; &ndash; &ndash; Der hat mich sehr &ndash;&ndash;
+&ndash;&ndash;lieb. &ndash; &ndash; Jede Tänzerin hat
+bekanntlich einen &ndash;&ndash; &ndash;&ndash;Freund.
+&ndash; &ndash; &ndash;</p>
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Ideen, Bilder und Situationen</title>
+</head>
+<body>
+
+<h4>Ideen, Bilder und Situationen</h4>
+
+<h5>Notizen</h5>
+
+<p>
+»ich bin ein Nihilist, wie er im Buch steht«, sagte er,
+erstaunt über das furchtbare Wort.</p>
+
+<p>
+Ich gieße meine Augen in meiner Hände Grab.</p>
+
+<p>
+Der Kopf sitzt, eine Geschwulst, auf einem ausgestopften
+Anzug. In einer Tasche eine prachtvolle Miniaturausgabe des
+Konkursrechtes, in der anderen ein wertvolles kleines
+Strafgesetzbuch.</p>
+
+<p>
+Lampen, die Blumen der Nacht, glimmen.</p>
+
+<p>
+Nackte Finger schleichen, spielende weiße Schlangen, hin zu
+einem Revolver. Und alle Männer blicken. Der Himmel fließt
+um die Nackte wie ein Tanzkleid. Sie schießt den Spiegel
+tot. &ndash; &ndash; Schreit auf, hebt Hände. Aus zitronenfarbenem
+Himmel fällt ein Weiß in die grüne Erde.</p>
+
+<p>
+Er spielte an einem Pickel über dem Halskragen, drückte
+wiederholt, so daß die Stelle rot wurde und aufschwoll, bis
+der Pickel platzte. Er besah den Eiter auf der Hand, zog ein
+Tuch aus einer Tasche, wischte die Hand ab, hielt das Tuch
+an die wunde Stelle, saß verloren traurig. »Der Mensch ist
+hochinteressant«, sagte eine hysterische Dame in dem
+Vorbeigehen.</p>
+
+<p>
+Die Erde flackert irgendwo.</p>
+
+<p>
+Mir passiert häufig beim Lesen einer kitschigen rosanen
+Geschichte, daß mir trotz des inneren Lachens ein Schauer
+durch den Körper geht.</p>
+
+<p>
+Die Erde, das Vieh.</p>
+
+<p>
+Ich bin in meinem schmerzenden Kopf.</p>
+
+<p>
+Die Luft fliegt schmierig umher. Sie bleibt an den Häusern
+kleben und an den Händen der Menschen.</p>
+
+<p>
+Sammlung: Berühmte Luetiker.</p>
+
+<p>
+Ich will aufhören, langsam zugrunde zu gehen. Daß geistige
+Leute sich nicht unterhalten können. Weib ist nur ein
+Vorwand für namenlose Sehnsucht.</p>
+
+<p>
+Ich liebe die Menschen, nicht Einzelne. Ich leide mit den
+Elenden um des Elends wegen.</p>
+
+<p>
+Er fraß den Schlaf.</p>
+
+<p>
+Gespräch: »Sie will sich töten.« Er: »Am sichersten wäre
+es.« Ihre Augen lagen, leuchtender Schmuck, in ihrer Haut.
+Ich bin ja nur ein armes, altes, dickes, schwaches Weib.</p>
+
+<p>
+Ein Reiter ging, sich auf einen Regenschirm stützend,
+nachdenklich durch die sonnigen Straßen.</p>
+
+<p>
+Ich bin mir überlegen.</p>
+
+<p>
+Die Vielheit der Frauenzärtlichkeiten läßt erst das Ideal
+»Mein Weib« konstruieren. Man muß sich bewußt sein, daß
+tatsächlich &ndash; Gottseidank &ndash; ein ständiger Wechsel notwendig
+ist.</p>
+
+<p>
+Und eine ist am Strand &ndash; und
+eine <span class="spaced">liest</span> am Abend &ndash; und eine &ndash; &ndash;
+&ndash;</p>
+
+<p>
+ein Pferd machte Laufschritt.</p>
+
+<p>
+»Ich finde das unreif und schlecht beobachtet«, spricht
+Backfisch von erotischer Skizze.</p>
+
+<p>
+»Der strengste Objektivismus ist die höchste Moral«, sagte
+mein Bruder, als er mich schlug. Das ist eine sehr edle
+Anschauung.</p>
+
+<p>
+Idee zu einem Drama: Befriedigung ist auch das Letzte
+nicht.</p>
+
+<p>
+Er sank hinunter. Tief, tief in einen Schlaf hinein wie in
+einen Sarg aus sanften Frauen.</p>
+
+<p>
+Ein Vogel knarrte im Baum.</p>
+
+<p>
+Auf einem hohen Berg lag ein bärtiger Kopf, neben ihm ein
+Bauch. Auf dem Bauch spielten fleischige Finger
+melancholisch mit einer dicken goldenen Kette, die wie Feuer
+glitzerte.</p>
+
+<p>
+Augen und Sehnsucht: Schwarze Flammen aus dem Gesicht
+beleuchten die weiße Stirn, hinter der tausend mit Sehnsucht
+gefärbte Bilder funkeln.</p>
+
+<p>
+In ihrem Hirn tanzte gerade ein schöner Geliebter. Ihre
+Augen waren ein lichtbraunes Gewand.</p>
+
+<p>
+Caféhaus: Alte fette Dirnen (Großmütter) mit schabiger Haut
+&ndash; baumelnde dicke Beine &ndash;,junge mit schwarzen Fingernägeln
+in neuen koketten Kleidern.</p>
+
+<p>
+Er betete in die Luft, mit wundem Rücken und aufgerissenem
+Maul, er rief: »Mein Körper ist ein Bett, in dem gehurt
+wird.«</p>
+
+<p>
+Manche Dirnen haben so viel sanft überlegene Mütterlichkeit
+um die Augen und sind die hilflosesten Kinder.</p>
+
+<p>
+Der abgelehnte Geliebte: Er geht durch viele Straßen und
+Stunden. In jeder Verzweiflung. Stellt sich vor den Spiegel.
+Hat sich lieb.</p>
+
+
+<h5>
+Die Tiere</h5>
+
+<p>
+Schauspiel</p>
+
+<p>
+Grundgedanke: Heilige Sehnsucht aus dem tierischen
+Triebleben zur seelischen Reinheit. Je größer der Dreck,
+desto heftiger die Sehnsucht. Aber vergebens: Die
+Sehnsüchtigen gehen im Dreck unter.</p>
+
+<p>
+Nur der Bürger, der sich über nichts schwere Gedanken macht
+und nichts tief empfindet, blüht im Dreck.</p>
+
+</body>
+</html>