Der Mensch das Tier: The Northman

Lavaströme nach dem Vulkanausbruch am Fagradalsfjall im März 2021

Die Hamlet-Konstellation bildet in »The Northman« den Ausgangspunkt: Der König wird von seinem Bruder ermordet, er heiratet daraufhin die Königin und der Sohn des Königs sinnt auf Rache. Shakespeare arbeitete diesen Stoff so weit aus, dass Hamlet auch wortreich am Grundsätzlichen zweifeln darf. In »The Northman« wirkt Amleth dagegen auf den Hund gekommen, sorry, auf den Wolf - er jault und knurrt und schreit und beschwört vor allem eines: eine reaktionäre Weltsicht.

Der Film verzichtet darauf, den Prinzen mit einem Charakter auszustatten, das Motiv der Rache und sein Auftreten als Berserker (in der aktuellen Popkultur gilt der Berserker als blindwütiger Krieger) müssen reichen um das Geschehen voran zu treiben. Dementsprechend braucht Alexander Skarsgård auch nur zwei Modi für die Darstellung der Figur: finster und grimmig.

Sollte die Handlung doch einmal stocken, oder sich in die falsche Richtung entwickeln, verschafft sich das Schicksal Geltung und drängt den Menschen durch Zeichen, Omen, Träume in seine vorbestimmte Bahn. In dieser Welt stört der freie Wille nur.

In die gleiche Kerbe schlägt der missverstandene Totemismus, den »The Northman« immer wieder einsetzt, um Mensch und Tier gleich zu setzen. Im Raben erkennt Amleth den Vater, der ihn an seine versprochene Rache erinnert, in seiner Rolle als Berserker trägt er den Namen Björnulf (Bärwolf) und wenn er nachts den Mond anheult (zusammen mit einem Fuchs?), kann er damit die Hunde in Rage versetzen. Allerdings setzt der überlieferte Totemismus nicht Mensch und Tier gleich, er behauptet vielmehr Verwandschaftsbeziehungen und Vorbildfunktionen.

Doch die Verdrehung von eigentlich bekannten Zusammenhängen, die Reduktion des Menschen auf ein Motiv oder die Unausweichlichkeit des Schicksals folgen einer Methode. Um sich einer kritischen Betrachtung zu entziehen, werden Ort, Zeit und Handlung ins Irreale oder auch ins nicht Nachvollziehbare verschoben. Auf diese Weise kann einem die widerborstige Realität nicht in die Parade fahren und man gewinnt den Freiraum, seine Vorstellungen ungestört auszubreiten. So verfrachtete schon William Golding seine Schüler im "Herr der Fliegen" auf eine Insel, damit sie dort fernab jeder Realität auf atavistische Verhaltensweisen zurück fallen konnten. Den gleichen Zweck erfüllte auch Lars von Triers auf eine Kreidezeichnung am Boden reduziertes Bühnenbild in »Dogville«. Ohne die Widerspenstigkeit einer real wirkenden Kulisse ließ sich das weibliche Opfer konsequenter drangsalieren und misshandeln.

Und sollte der Verstand des Zuschauers doch einmal auf unbequeme Fragen verfallen, so kennt »The Northman« ja noch andere Mittel um seine gedankliche Einfältigkeit zu übertünchen. Einem anstehenden Gemetzel schickt er etwa gerne Szenen am Feuer voraus. Das Halbdunkel, aus dem die erhellten Figuren hervorstechen, sorgt dann für den dramatischen Effekt.

Aber auch die Musik, die sich durch den Film zieht (Kehlkopfgesang? Ist der nicht eher im Osten Sibiriens und in der Mongolei anzutreffen?) versucht, eine spiritistische Atmosphäre zu erzeugen. Das gerät bei der Ankündigung des schicksalbehafteten(!) Schwertes fast in die Bahn eines Musikvideos. Mit viel Tam-Tam Ungereimtes, Widersprüchliches zu übertönen, war schon zu Wagners Zeiten ein beliebtes Rezept.

Zum quasi furiosen Finale verabreden sich Amleth, der gerade Mutter und Halbbruder erstochen hat, und sein davon unberührt wirkender Onkel zum endgültigen Totschlag vor Hels Toren (Hel als Göttin der Totenwelt in der nordischen Mythologie). In den englischen "gates of Hel" klingen die Tore zur Hölle gleich mit. Während das Reich der Hel in den Sagas im Norden liegt, wo die Welt dunkler und nebliger wird, verlegt der Film den Eingang zur Hölle auf einen gerade ausbrechenden Vulkan und bedient sich so lieber christlicher Vorstellungen von Höllenfeuer. Dort gehen dann Amleth und sein Onkel umgeben von Lavaströmen aufeinander los. Da Lava mit Temperaturen von 500 bis 1000 Grad dahin fließt, könnte man sich allerdings zurecht über den sich immer noch austobenden Kampfgeist wundern.

Doch Regisseur Robert Eggers bleibt seiner Agenda treu und drechselt bis zum Schluss an seiner Vorstellung vom Mensch als Tier, dessen Schicksal unausweichlich ist. Und man darf ihn wohl durchaus programmatisch verstehen. Nicole Kidman, hier als Mutter der Hauptfigur, spielte in »Dogville« das Opfer. Claes Bang, in »The Northman« als Brudermörder, hatte die Hauptrolle im Film »The Square« übernommen. Für seine ermüdende Denunziation einer liberalen Haltung hatte »The Square« 2017 in Cannes die »Goldene Palme« bekommen. Da es für derartig humorfreies Brimborium ein Publikum zu geben scheint, wird Eggers wohl weiter an seinem Thesenkino arbeiten.

 

»The Northman« in der IMDB.

Bildquelle: Foto von Andrii Gladii in Wikimedia Commons.