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  <title>Einleitung</title>
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<div class="prose">

<h3 class="spaced">Einleitung</h3>

<h4>Tran Nr 26</h4>

  <p class="bold">An alle Kritiker</p>

<p class="txtindent">
Die erste Tugend eines jeden Kritikers sei 
Bescheidenheit. Bescheiden, wie der Künstler vor
seinem Werke, stehe der Kritiker vor seiner Kritik.
Bescheiden warte er und lasse er das Kunstwerk
auf sich wirken; bescheiden horche er auf die
Stimme Gottes im Kunstwerk. Bescheiden horche
er ferner auf die Stimme Gottes, der durch den
Künstler aus dem Kunstwerk spricht. Die erste
Tugend eines jeden Kritikers sei Bescheidenheit.
</p>

<p class="txtindent">
Bescheiden, wie die Jungfrau zum Altare, trete
der Kritiker vor das Werk hin. Nicht auf das
Werk trete er, sondern nur bescheiden vor das
Werk. Denn hier ist er nicht Herr, hier ist er bloß
Kritiker, ein bescheidener Kritiker, ein Kritiker,
der sich bescheiden muß, ein Kritiker, der Bescheid
wissen muß. Er, der Künstler, durch den die 
Gottheit aus dessen Werke spricht, soll sein Herr sein,
soll Herr des bescheidenen Kritikers sein. Und 
bescheiden trete der Kritiker vor das Werk hin, vor
das Kunstwerk, denn hier steht er vis-à-vis der
Ewigkeit. Fromm falte der Herr Kritiker seine
Tintenfinger zum Gebete. Denn hier sei er Seele,
nicht Herr, Seele, nicht Kritiker, Seele, bloß 
Kritiker, Seele, die auf die Weissagung des Propheten
lauscht, etwa wie ein Ohr. Damit man ihn nicht
am Ohre fasse. Bescheiden sehe sein Auge, lausche
sein Ohr, taste seine Hand. Die erste Tugend eines
jeden Kritikers sei Bescheidenheit.
</p>

<p class="right">
Kurt Schwitters
</p>

<p class="indent">
Einbeck, 5.7.22.
</p>

<hr class="deco" />

</div>

</body>
</html>