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  <title>...liner Roma... - 11.</title>
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<div class="prose">

  <h3 class="center">11.</h3>

<p class="intro">
– – die Nummer des Autos war nicht beleuchtet. Die Leiche
wurde dem Schauhause zur Obduktion überwiesen.</p>

<p class="clearb">
Wollte jemand Gustaven bei Deeters denunzieren, sprechend:
Er hält auch vor dir Geheimnisse zurück! – Deeters würde
lächelnd abwinken. Klapp den Deckel drauf. – Zwei Stammgäste
trinken peinlich kritisch Weiße. Der alte Herr von der
Filmbranche bietet dem Herrn Schneidermeister eine Prise an.
Dieser ruft dem Kellner etwas zu in dem Dialekt der
achtziger Jahre von Kölln jenseits der Spree: „Max. juckeln
Se man los mit Ihren ollen Zossen...“ – Ein kleiner bärtiger
Herr nimmt eilig an diesem Tische Platz. „Vergeben Sie,“
kichert er, „wenn ich ehrliche Fußnote

<img class="center" src="../Images/11-1.png" alt="Bild 1 Kapitel 11"/>

in die 22. Zeile
Ihres Vorworts einfalle. Sie sind der richtige Berliner, in
Berlin die zweite Auflage. Sowas erschien wohl anno 79 bei
Hermann, aber was bedeutet es heute? Bestenfalls reiste der
Großvater zu und der Enkel verzieht morgen.“ Der Sprecher
legt Geld auf den Tisch, löffelt eine Erbsensuppe in sich
hinein und entfernt sich. „Der scheint etwas Manoli zu
sein.“ – Gustav aber schlendert durch die Nacht, darin, von
dunstigen Gespenstern überhuscht, Lichter hängen. Hohe
bleiche Monde, ordinäre Butterblumen, an den Stationen
aufregend rote Augen über Blutpfützen oder grüne Augen. Und
über den Straßen dahingleitend, goldstreuend, der um eine
andere Welt wissende Blaufunke. – Wie Gustav gekleidet ist,
zu allem fähig, nichts gegen ihn einzuwenden, bemerkt er
zufrieden, wie die Geheimpolizisten und andere Spione ihm
ratlos nachblicken. Er kennt sie besser, die Strengen wie
die Bestechlichen. Im Keller der Bananenliese oder unter der
Falltür der grauen Frau öffnet sich ihm, dem bescholtenen
Ringkämpfer, vertraulich die Chronique scandaleuse. Es würde
aber seine wundersamen Privatstudien unnötig
beeinträchtigen, wenn er Bielas Zuhälter anzeigte. Dagegen
kommt ihm der Ruf zustatten, den er sich erwarb, als der
internationale Dreadnought Kanarienschorsch niederboxte. –
Gustav hustet grimmig ein paar seifige Zwitterjünglinge vom
Bürgersteig. Und schnackt ein wenig mit dem alten Fuchswolf,
der nachts mit einem Knüppel einen Schirmladen bewacht und
nebenher geheimen Handel mit amerikanischen Zigaretten und
Nacktphotos treibt. Er tauscht einen Witz mit den
Droschkenkutschern am Halleschen Tor, läßt sich von Nora
neue Anekdoten über Perverslinge erzählen. Und schaut zum
hundertsten Male zu, wie ein junges, aber reifes, dralles
Mädchen mit einem Puppenwagen den bettelnden Rumpf wegfährt,
der allabendlich einige Stunden an der Planke lehnt, wo die
parteipolitischen Aufrufe angeschlagen werden. – Im
rauchigen Keller von Lutter &#38; Wegner mischt sich der
Artist Gustav al Ratschild unter eine bezechte Gesellschaft
falscher Offiziere und falscher Schauspielerinnen. Da quirlt
Lustigkeit aus dem Vollen heraus. Denn es kommt den
Kavalieren nicht darauf an, der Abortfrau Lewandowsky, die
aus Exkrementen russische Zustände und noch Angenehmeres
prophezeit, einen Fünfzigmarkschein zu schenken. Und die
Damen stecken dem Oberkellner noch höhere, geheimnisglatte
Gelder zu. Und jemand bietet Gustaven 200 Mark an, wenn er
nur in ein Telephon spräche: „Hier Vorsteher Günther. Der
Wagen soll am dritten Gleise warten.“ – Niemand außer
Gustaven hört in dem Lärm, wie Hoffmann leise an der Wand
kratzt, an der Stelle, wo früher das historische Bild hing.
Gustav verläßt den Keller, springt drei Schritte rückwärts,
weil Murr quer über den Weg huschte. – Und drei Stunden lang
für ein verschwiegenes Honorar ist er damit beschäftigt, ein
vornehmes Haus in der X-Straße dauernd zu verlassen. Jedes
Mal prallt er mit einem Herrn im Pelz zusammen, der dann
ruft: „Pardon, die Zeit macht einen nervös.“ Jedes Mal
antwortet Gustav dann: „Eine Nase läßt sich immer wieder
drehen.“ Und geleitet die Herren ins Parterre, wo ein
Kügelchen über schwarze und rote Felder hüpft. – Gustav, der
Chiromant, trinkt bei einer alten Hexe Whisky aus einer
Napfkuchenform und unterhält sich flüchtig durch ein
sulfurisches Sprachrohr mit Clamur, Machandel und Pipo. –
Gustav hinkt. – Hinterm Reichstagsgebäude steckt er den
falschen Bart in die Tasche. Ein Irrsinniger spricht ihn an.
Ob der Schuß am Hundekehlensee schon gefallen sei? – Gustav
nickt, wandelt tief Atem schöpfend weiter, dorthin, wo keine
Laternen leuchten, unter die Bäume am Kanal. Lehnt sich
übers Geländer und blickt in das tintenartige Fließen. – Als
die letzten Schritte eines wankelmütigen Mädchenjägers
verhallen, wird es dort unheimlich still. – Gustav summt: Es
schwimmt eine Leiche im Landwehrkanal. Reich sie mir mal
her, aber knutsch sie nicht so sehr. Dann lauscht er,
strengt seine Augen an. – Eine Leiche treibt langsam näher.
– „Es schließe sich der Ring!“ – „Völlig!“ antwortet eine
Stimme, die Leiche bremst. Gustav stößt einen Bootshaken in
ihren Leib und langt sie damit heraus. Es ist Pinkomeier. Er
begleitet Gustaven trällernd, trällert das Lied vom
sublunarischen Wandel. Dabei redet er Dummheiten, die morgen
vergessene Weisheiten sind. Und Gustav notiert sich einige
kluge Bemerkungen, um sie morgen als wirren Blödsinn zu
verbrennen. – „Mehr Humor, Gustav, Ataraxie auch im
Verrecken!“ sagt Pinkomeier. „Du läßt dich vom ersten
Eindruck erwürgen. Krieche stumm in die Dinge hinein; alle,
die empörendsten, sehen innerlich ganz natürlich
fleischfarben aus. Und ob in der Mühle die unterste Bohne
bevorzugter sei als die oberste, die bis zuletzt den andern
auf den Köpfen tanzt...? Pah, gehupft wie gesprungen!
Studiere du unbekümmert weiter und glaube mir: Es ist kein
so großer Unterschied zwischen der Bibel und dem Berliner
Adreßbuch. – Im Morgendämmern, wie etwas ganz sonderbares,
erhebt sich Vogelgeschwätz. Die Spatzen, die Nachtigallen
der Stadt. Wovon ernähren sie sich in dieser brotlosen Zeit?
Wovon ernähren sich... – Ein hackender Schritt ertönt, vom
Echo der andern Seite geprügelt. Arbeiter mit klappernden
Kannen eilen. Dicke Bündel

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farbloser Röcke schleppen
Gemüsekörbe zur Markthalle. Das Volk der Angestellten
schwärmt aus, Sklaven. Pedanten, die das Ende eines
selbstgekauften Bleistiftes erleben. Bleich, kurzsichtig
gewordene Mädchen. Ein gewisser, beinahe familiärer
Kommunismus des Kontorlebens bewirkt es, daß sie mit einer
Art Heimatgefühl in die kahlen Büros ziehen. – Müde, ohne
ein Nachthemd einzuwechseln, sinkt Gustav in den süßen
Eintagstod. Aus der Matratze brummt Pinkomeier Gute Nacht. –
Nur einmal, kurz aus dem Schlaf erwachend, schaudert es
Gustaven, als er Licht in seiner Stube bemerkt und einen
bloßen Arm gewahrt, der aus dem Türspalt des
Kleiderschrankes herausragt.</p>

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