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  <title>...liner Roma... - 10.</title>
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<div class="prose">

  <h3 class="center">10.</h3>

<p  class="intro">
Amtsgericht I erläßt ein Aufgebot hinter 20 Verschollenen,
deren Todeserklärung beantragt ist.</p>

<p class="clearb">
Nur plaudern, das kostet ja nichts. Im Gegenteil, dann
möchte sie noch Bohnenkaffee und Gebäck mit ihm teilen. Die
Hure Biela. Und das auszuschlagen, erfordert Überwindung von
ihm, dem Hungergeschwächten. – Wie ein von Märchen
Entrücktes lauscht sie seinen traurigen Gedichten, schreibt
sie dankbar in ein fettiges Heft. Er sagt sie auch innig und
echt her; liegt doch hinter ihm eine stundenlange bekümmerte
Wanderung durch die Straßen, die er kennt, die ihn nicht
kennen. – Man hat sein Drama abgelehnt. Eine halbe Minute
oder die Laune 

<img class="center" src="../Images/10.png" alt="Bild Kapitel 10"/>

eines Lektors, oder einer Gottheit weiser
Beschluß zerpflückte ihm das Werk eines Jahres. – Annemarie
hat sich von ihm losgesagt, einen Tag bevor seine besten
Schuhe barsten. Erbärmliches Leder. – Arbeitern wich er aus,
die Schokolade kauten oder Grogdünste, Geldgerüche
aushauchten. Ahnt keiner von ihnen, daß das, was in Hauffs
Märchen unsere Brust bedrängt und uns Güte ausweinen läßt,
daß das heute unter Liftboys leben kann, vielleicht jetzt
augenblicklich in der Kakadubar vor der Tafel mit den
Renndepeschen zu finden wäre. – Wer nur arbeiten will,
Arbeit ist genug da. Herr Purmann hat das über ihn
geschüttet wie heißes Blei. Aber Purmanns wissen es nicht
besser. Das Glück hängt vom Gewissen ab, aber das Gewissen
vom Verstande. – Schuld, Irrtum, Glück, Zufall,
Verantwortung... Lauter durcheinandersiedende Moleküle –
Noktavian hat eine Anstellung gefunden. Er besucht vornehme
Kundschaft, um Beiträge zu sammeln für ein nationales
Privatunternehmen. Viele honorige Stellungslose werben so
für ähnliche Vereine unter hohen Protektoraten. Sie betteln
erstaunliche Summen zusammen, aber doch nur so viel, daß es
gerade die honorigen Spesen der Ehrenamtlichen deckt. Nun
kann Noktavian wohl reisen und Beziehungen anknüpfen. –
Liebenswürdige Freunde von Gustaven, begabte jüdische
Kollegen der Literatur oder Kunst, wußten sich auch durch
diese Zeit scharfdenkend und beharrlich höher zu schrauben;
ließen hier einen überflüssigen Brocken Ehre fallen,
zertraten dort unauffällig einen anständigeren Ringer. – Und
denen, die Ruhm und Gold besitzen, nähert sich behaglich der
Zufall und segnet sie. Und was uns vorzustellen gelingt, das
sind wir auch. Brave, unverantwortliche Soldaten
zerfleischen darüber brave, nur geistig anspruchsvollere
Brüder. – Und die Gewinnenden? was gewannen sie? Wer ist
heute wahrhaft zufrieden? Oder doch? Oder nein? –
Deutschland wurde gar zu arg geschüttelt. – Und wie's kam
und wie's auch noch kommen sollte, du, bleierner Gustav.
wirst immer auf dem Grunde bleiben. Die Offiziersschärpe und
die Kriegsorden anlegen und dich bettelnd in der
Wilhelmstraße aufstellen. Nein, das darfst du nicht. Denn du
triffst hin und wieder anständige Kameraden und besuchst
doch zuweilen den feudalen Klub, wo getreue, zum Teil
kriegsverstümmelte Helden dauernd Kinder mit dem Bade
ausschütten und einem eitlen, beschränkten Götzen huldigen,
der sich aus dem Staube gemacht hat. Außerdem werden dir
gewiß schon andere mit dieser Idee zuvorgekommen sein. –
Denn Berlin ist ja so hoffnungslos abgegrast von der
schlingenden niedertretenden Vielheit. – Die Bourgeois? Auch
du gehörst ihnen wohl an, den tatenlosen oder den
kurzsichtigen oder den steifdummen oder den heimlich
zufriedenen Scheinbellern. Und die Radikalsten? Ideale
erfüllen sich nie, aber unter wirren Umständen die Taschen.
– Und die Verbrecher? Vergreifen sich an den Mittleren und
Kleineren. Denn die Tiergartenstraße schützt der Staat, es
ist seine Straße. Der Staat ist fett gemästet, ernährt sich
nur mehr von jungen, zartesten Gemüsen. Wenn ich Präsident
wäre, ich würde... Geschwätz! – Woge prallt gegen Woge.
Wurde mir die Seefahrt doch leid? Ich bin ein verbrauchter
Süßwassermatrose, der sein Leben auf dem Lande beschließen
möchte. – Die Hochsee hat ihre Wunder, aber in die Tiefe muß
man tauchen, sie zu heben, und man kehrt dabei leicht nicht
wieder zurück. Andere bescheiden sich, dringen an der
Oberfläche rasch vorwärts. Noch ein anderer erhängt sich.
Der läuft nur einen Knoten und erreicht doch am ehesten das
Ziel. Das wäre etwas für dich, Gustav. Und deine paar
Habseligkeiten alle testamentarisch dem einen Freunde
vererben, daß die Verwandten und Mäzene wenigstens einmal
stutzen würden: „An diesem Deeters muß doch etwas sein...“ –
Man plaudert mit ihnen. Immer das gleiche. Unter diesen
Mädchen gibt es mitunter noch Altangesessene und auch eine
gewisse Kultur in Berlin. – Man weiß im voraus, was Biela
antworten wird. – Wie sie sich ihre Zukunft ausmalt? Sie
wird mit Ersparnissen ein Blumengeschäft gründen, oder
Zimmer vermieten, entweder als Kupplerin oder an anständige
Herren. – Sie sind gemütlich und ehrlich, solange man an dem
barschen Kontrakt nicht rüttelt. Sie bieten dir heute
nervenpeitschenden Kaffee und morgen tödliches Gift. –
Beiläufig, in ausgelassener Festgesellschaft antwortete
Elfchen einer Frau Rat mit komischem, fast rührendem Stolz:
„O, als Heinz mit mir in Paris war, damals haben wir auch
oft drei Tage und drei Nächte hintereinander
durchbummelt...“ Wer verdient das Leben? Alle andern sind
schuldbeladen. Ich, Gustav, bin der einzige anständige
Charakter. So aussichtslos... so hoffnungslos...
</p>

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