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  <title>...liner Roma... - 9.</title>
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<div class="prose">

  <h3 class="center">9.</h3>

<p class="intro">
Welche edeldenkende, energische robuste Dame verhilft jungem
kriegsverarmten Manne zu einem Paletot? Heirat nicht
ausgeschlossen.<br />
A. 16 Exped. d. Bl.</p>

<p class="clearb">
„Aber Herr Gastein, es fängt an zu regnen.“ – Doch er zeigt
ihnen Gestalten, hübsche und häßliche und die unsicheren und
speziell die komischen. Die Felsblöcke mit summenden Grotten
sind ihr bekannt aus Vaters Fabrik. Auch die Schreibstuben,
darinnen es hagelt wie Maschinengewehrfeuer bei den
Liliputs. – Da! Dort! Dieser Eckstein! Jene technische
Straßenwarze! Oder hier die Mauernische! Daran schlendert
man so vorbei, aber nachts haben diese Dinge vielleicht
Bedeutung, spukhafte oder grausige Bedeutung. Nachts
kichert, rauscht und knistert es allenthalben. Und im Spuk
werden dann zur Bühne alle die verwunschenen Winkel, wo tags
die Hunde hinpink .. – „Herr Gastein, es regnet!“ Um so
besser. Das schwemmt wieder Billiarden von Großstadtbazillen
in die Schleusen. – Wer sitzt dort unter der Litfaßsäule?
Für wen halten Sie den? Den Mann? Nun, das ist ein armer
Stiefelputzer! – Ganz bestimmt nicht, aber vielleicht ein
reicher Stiefelputzer oder ein Detektiv auf Posten. – Sie
lesen dahinwandernd links und rechts Firmen. Und Fundbüro,
Leihamt, Akademie, .. XII. Oberrealschule, Verein für... Auf
jeden Berliner kommen sechs öffentliche Einrichtungen, ohne
die Bedürfnisanstalt .. „Mein Kleid ist hin. Ich bin total
durchnäßt.“ – Blicken Sie auch mitunter nach oben. Dort ganz
oben, dem lieben Gott und dem Mars viel näher als wir,
wohnen unlegitime Fürsten, ohne Gewissen, ohne Ehre und ohne
Würde. Denn waren es aristokratische Hausbesitzer, die
neulich ihr Kommando zur Française bewunderten, so werden es
andere Leute sein, die ihnen morgen mitleidig eine Unterhose
abkaufen. – „Das verstehe ich nicht: Fürsten .. Unterhose?“
– Nun, junge Leute sind's .. sie suchen sich aus Lügen
herauszulügen. Und manchen gelingt es, aus Leinewand,
Kohldampf und grauen Haaren .. Gold zu kochen. Kluge Leute,
die wohl wissen, daß erreichtes Ziel luxuriösen Stillstand
bedeutet und daß dann vergötterter Krebsgang folgt. Aber
doch hetzen sie sich 24 Stunden qualvoll theaternd ab, um
für einen antiken Bronzeleuchter 10 Mark zu erbetteln. Und
nachts liegen nackte oder buntumhüllte Nuschas auf ihren
Tischen und trinken Allasch aus Eierbechern, ebenso auf
Berühmtheit gefaßt wie auf Pfändung. – Fräulein von
Camphusen spricht nur mehr mit ihrer Freundin. – Gussi will
versöhnen. – Dort oben zweiter Stock, zweites Fenster von
links, hinter den erstklassigen Pensionsgardinen verbrennt
ein gespannt lauschender Feinmechaniker Briefe,
Kofferadressen, Gegenstände .. Morgen will er reich sein.
Gestern hat er eine Witwe erdrosselt. – „Wen? – Wieso? –
Woher?“ – Ich weiß es nicht, aber .. man liest es doch
täglich. – „Höre Gustav,“ sagt Feridell, „nässer werden wir
doch nicht, wollen wir nicht endlich ..“ – Gut. Er führt sie
in dunkle, bemalte Hausflure, über halsbrecherische Stiegen,
in Hinterhöfe und überraschende Durchgänge. Dort im
Stockwerk fädeln und stechen junge, verkümmerte Mädchen
tagaus, tagein, bis sie spitze Nasen bekommen und auf einem
sauren Sparkassenbuch sterben. Die Direktrice geht nächste
Woche mit einem phantastischen Hochstapler durch. – Dort
sind auch Junggesellenwohnungen und Aftermieter-Boudoirs,
die man einmal nachts wie ein Dieb betritt und nie
wiederfinden würde. Später besinnt man sich auf einen
Bärtigen, der im Schlafrock vorlas aus „Die Bienenfabel oder
der Nutzen der Privatlaster für das öffentliche Wohl“ .. –
Anna ist verstimmt. – Indem Gussi vermitteln will, bekennt
sie sich restlos offen zu ihm. Das rührt ihn. – „Dein
abscheuliches Berlin! Wie ganz anders, wie schön war es
damals dort auf der Mole ..–“ – Ja Gussi, es war dort so
schön, weil wir es hier ähnlichen Menschen erzählen oder
verbergen würden. – Im Spaßmachen, Unsinntreiben, da hat
seine rege Phantasie leichten Sieg. – Wenn man Bauchreden
erlernte, könnte man sich selber Rätsel aufgeben und
beantworten, oder sich mit sich streiten. – So gewinnt er
Annen zurück. – Ihnen rollt ein Schlachterwagen vorbei, der
eine Kuh am Strick nachzieht. Sie muß Trab laufen, das Euter
schwabbelt lächerlich hin und her, und sie glitscht auf dem
spiegelnden Asphalt häufig aus. – Auf dem Lande drehen sich
die Leute nach einem englischen Offizier um. Die Berliner
wenden ihre Köpfe nach einer Kuh oder nach singenden
Spaziergängern. – Anna hält die Kuh für ein abscheuliches
Tier, wegen der Kruste. Worauf Gustav es für denkbar
erklärt, daß eine halbtaube Frau jetzt einwerfen könnte, die
Kruste sei gerade das Beste. Alle drei lachen noch in der
Konzertloge. Das Parkett ist wie ein Kohlfeld mit Köpfen
bedeckt. Schlüge man sie ab, sie fehlten morgen nicht im
öffentlichen Gewimmel. – Gustav träumt nachts vorsätzlich
von Anna. Auch wachend redet er sich Verliebtheiten vor,
deutet es andern gegenüber an. Und Elfchen schenkt ihm eine
neue Krawatte und ermahnt ihn, die Gelegenheit zu nützen,
nicht so freie Reden zu führen, sich natürlich und
bescheiden zu benehmen. – Pah! – Als er noch Matrose war,
hatten ihn die Mädchen an den Küsten lieb, weil er sich
anders und lustig gab und nicht berechnend, sondern nur
flüchtig, vorübergehend erschien. –</p>

<p>
Cecilie: Aber doch interessant?</p>

<p>
Anna: Ja, wollte mit uns in einem ganz fremden Hause durch
die Bodenluke aufs Dach klettern. Um uns die Berliner Alpen
zu zeigen, mit Gärten auf Holzzement und Gletschern, wo
manchmal wilde Jagden stattfänden, bei denen herrliche kühne
Verbrecher erschossen würden.</p>

<p>
Cecilie: So sind die Künstler...</p>

<p>
Anna: Ja, aber manchmal so merkwürdig, fast unheimlich. –
Ich glaub' er ist nicht ganz richtig. –– Ich fürchte mich
vor ihm.</p>

</div>
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