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  <title>Die Vorstadt</title>
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<body>

<h3>Die Vorstadt</h3>

<p>
In ihrem Viertel, in dem Gassenkot,<br />
Wo sich der große Mond durch Dünste drängt,<br />
Und sinkend an dem niedern Himmel hängt,<br />
Ein ungeheurer Schädel, weiß und tot,</p>

<p>
Da sitzen sie die warme Sommernacht<br />
Vor ihrer Höhlen schwarzer Unterwelt,<br />
Im Lumpenzeuge, das vor Staub zerfällt<br />
Und aufgeblähte Leiber sehen macht.</p>

<p>
Hier klafft ein Maul, das zahnlos auf sich reißt.<br />
Hier hebt sich zweier Arme schwarzer Stumpf.<br />
Ein Irrer lallt die hohlen Lieder dumpf,<br />
Wo hockt ein Greis, des Schädel Aussatz weißt.</p>

<p>
Es spielen Kinder, denen früh man brach<br />
Die Gliederchen. Sie springen an den Krücken<br />
Wie Flöhe weit und humpeln voll Entzücken<br />
Um einen Pfennig einem Fremden nach.</p>

<p>
Aus einem Keller kommt ein Fischgeruch,<br />
Wo Bettler starren auf die Gräten böse.<br />
Sie füttern einen Blinden mit Gekröse.<br />
Er speit es auf das schwarze Hemdentuch.</p>

<p>
Bei alten Weibern löschen ihre Lust<br />
Die Greise unten, trüb im Lampenschimmer,<br />
Aus morschen Wiegen schallt das Schreien immer<br />
Der magren Kinder nach der welken Brust.</p>

<p>
Ein Blinder dreht auf schwarzem, großem Bette<br />
Den Leierkasten zu der Carmagnole,<br />
Die tanzt ein Lahmer mit verbundener Sohle.<br />
Hell klappert in der Hand die Castagnette.</p>

<p>
Uraltes Volk schwankt aus den tiefen Löchern,<br />
An ihre Stirn Laternen vorgebunden.<br />
Bergmännern gleich, die alten Vagabunden.<br />
Um einen Stock die Hände, dürr und knöchern.</p>

<p>
Auf Morgen geht's. Die hellen Glöckchen wimmern<br />
Zur Armesündermette durch die Nacht.<br />
Ein Tor geht auf. In seinem Dunkel schimmern<br />
Eunuchenköpfe, faltig und verwacht.</p>

<p>
Vor steilen Stufen schwankt des Wirtes Fahne,<br />
Ein Totenkopf mit zwei gekreuzten Knochen.<br />
Man sieht die Schläfer ruhn, wo sie gebrochen<br />
Um sich herum die höllischen Arkane.</p>

<p>
Am Mauertor, in Krüppeleitelkeit<br />
Bläht sich ein Zwerg in rotem Seidenrocke,<br />
Er schaut hinauf zur grünen Himmelsglocke,<br />
Wo lautlos ziehn die Meteore weit.</p>

</body>
</html>