Von Rom hierher ging ich halb im Wagen, halb zu Fusse; im Wagen so weit ich musste, zu so weit ich konnte. Man hatte während meines Aufenthalts in Rom auf der Strasse von Florenz Kouriere geplündert, Soldaten erschossen und grosse Summen geraubt. Es wäre Tollkühnheit gewesen, allein zu wallfahrten, wenn man nicht geradezu ein Bettler war, und sich durch das cantabit vacuus sichern konnte. Ich fuhr also mit einer Gesellschaft nach Florenz. Von Ronciglione nach Viterbo gehts am See hinauf über den Ciminus. Auf dem Berge empfehle ich Dir die Aussicht rechts hinüber nach dem Soratte; sie ist herrlich. Man sieht hinüber nach Nepi und Civitacastellana, bis fast nach Otrikoli, und weiter hin in die noch beschneyten Apenninen. Die Nebelwölkchen kräuselten sich herrlich und bezeichneten den Lauf der Tiber. Trotz der gedrohten Gefahr konnte ich doch nicht im Wagen bleiben, und trollte meistens zu Fusse voraus und hinterher. Nicht weit von Viterbo begegnete uns eine Gesellschaft, die nach aller Beschreibung, die ich schon in Rom von ihnen hatte, eine Karavane deutscher Künstler war, welche von Paris nach Rom gingen. Der Wagen fuhr eben bergab sehr schnell, und ich konnte mich nicht erkundigen.

Du kannst denken, dass ich auf Thümmels Empfehlung in Montefiaskone den Estest nicht vergass. Er ist für mich der erste Wein der Erde; und doch hatte ich nicht bischöfliches Blut: zwey Flaschen trank ich den Manen unsers Landsmannes. Ich brauchte mich nicht hinein zu bemühen in die Stadt, deren Anblick auch sehr wenig einladendes hatte: der Wirth erzählte unaufgefordert die Geschichte des seligen Herrn, und machte mir mit der Landsmannschaft ein Kompliment. Es war gut, dass ich nicht hier bleiben konnte; ich glaube, ich wäre Küster bey dem Bischofe geworden. Aus dem Munde des Wirths lautete die Grabschrift: Est est est, et propter nimium est dominus Fuggerus spanc mortuus est. Ob nun der Herr Bischof, der sich hier an dem herrlichen Wein in die selige Ewigkeit hinüber trank, wirklich aus unserm edeln Geschlecht dieses Namens war, das überlasse ich den geistlichen Diplomatikern. Ich lief rüstig vor dem Wagen her, nach Bolsena zu, am See hin nach Sankt Lorenz, dem Lieblingsorte Pius des Sechsten. Die ganze Gegend um Bolsena ist romantisch. Dass unten Altlorenzo so ausserordentlich ungesund seyn soll, kann ich nicht begreifen. Daran scheint nur die Indolenz der Einwohner Schuld zu seyn.

Als eine Neuigkeit des Tages erzählte man hier die Geschichte von einem Komplott in Neapel. Murat, den ich selbst noch in Neapel gesehen habe, soll die Rädelsführer durch seine Versprechungen zur Entdeckung der ganzen Unternehmung sehr fein überredet und sodann die ganze Liste dem Minister überreicht haben. Weiss der Himmel wie viel daran ist! Ganz ohne Grund ist das Gerücht nicht. Denn schon in Rom wurde davon gesprochen, und der König von Sardinien war aus Kaserta daselbst angelangt, wie man laut sagte aus Furcht vor Unruhen in Neapel, und wohnte im Pallast Kolonna. Die neapolitanische Regierung hatte dabey in ihrem Ingrimm ihre gewöhnliche alte unüberlegte Strenge gebraucht. In Montefiaskone traf ich einen Franzosen, der zwey und zwanzig Jahre in Livorno gehandelt hatte und ein gewaltiger Royalist war. Ich wollte schon vor zwölf Jahren zurück gehen, sagte er mir, aber mein Vaterland ist diese ganze Zeit über eine Mördergrube und ein verfluchtes Land gewesen. Die Republikaner und Demokraten sind alle Bösewichter. Nun, da Bonaparte wieder König ist, werde ich nach Hause gehen und mein Alter in Ruhe geniessen. Der Mann sagte dieses alles mit den nehmlichen Worten; ich bin nur Uebersetzer.

Aquapendente an dem Flusse macht eine schöne Parthie und ist für den Kirchenstaat eine nicht unbeträchtliche Stadt. Was das für eine närrische Benennung der Oerter ist, sagte ein Engländer, Aquapendente und Montefiaskone; es muss heissen Montependente und Aquafiaskone. Vor Radikofani an der Gränze bey Torricelli hatte man auch den Kourier geplündert, und ein toskanischer Dragoner war dabey umgekommen. Siena ist ziemlich leer. Der heilige Geruch des Erzbischofs benahm mir alle Lust nur aus dem Wirthshause zu gehen. Er ist der nehmliche Herr, der zur Zeit Josephs des Zweyten päbstlicher Legat in den Niederlanden war, und daselbst allem Guten sehr thätig widerstrebte. Neuerlich in der Revolution, hat er sich durch seine heroische Unvernunft ausgezeichnet. Die Juden mochten bey Ankunft der Franzosen den Glauben gewonnen haben, dass sie auch Menschen seyn, und sich also bürgerlich einige Menschlichkeiten erlaubt haben. Nach Abzug der Franken hielt der christgläubige Pöbel zu Siena im Sturm über die verruchten Israeliten Volksgericht und führte dreyzehn der Elenden lebendig zum Scheiterhaufen. Einige muthige vernünftige Männer baten den Erzbischof sein Ansehn zu interponieren, damit die Abscheulichkeit nicht ausgeführt würde. Die Energie des Glaubens weigerte sich standhaft gegen die Zumuthungen der Menschlichkeit, und die Unglücklichen wurden zum frommen Schauspiel der Christenheit lebendig gebraten. Als die Volksexekution nach Hause zog, gab der geistliche Vater den Kindern mit Wohlgefallen seinen Segen. Doch dieses ist in Italien noch Humanität.

Von Siena nach Florenz ist ein schöner herrlicher Weg; und so wie man Florenz näher kommt wird die Kultur immer besser und endlich vortrefflich. Von Monte Cassiano, dem letzten Ort vor Florenz, ist die schönste Abwechselung von Berg und Thal bis in die Hauptstadt. Was Leopold für Toskana gethan hat, wird nun eilig alles wieder zerstört, und die Mönche fangen hier ihr Regiment eben so wieder an wie in Rom. Der allgemeine grosse Wohlstand, der durch die östreichische hier sehr liberale Regierung erzeugt worden war, wird indess nicht sogleich vertilgt. Hier sind Segen und Fleiss zusammen. Der neue König wird nicht geachtet; jedermann sieht ihn als nicht existierend an: bloss der römische Hof gewinnt durch seine Schwachheit Stärke. Dieser Leopold, sagt der Nuntius, hat vieles gethan als ein ungehorsamer Sohn, das durch den Willen des heiligen Vaters und das Ansehen der Kirche ipso jure null ist. Du kannst denken, wie stark man sich am Vatikan fühlen und wie schwach man die am Arno halten muss, dass man eine solche Sprache wagt. Aber sie wissen, dass sie mit dem Herrn in Paris zusammen gehen; das erklärt und rechtfertigt vielleicht ihre Kühnheit. Die grösste Anzahl seufzt hier nach der alten Regierung; Neuerungssüchtige hoffen auf Verbindung mit den Herren jenseit des Berges, oder gar mit den Franzosen; die jezzige Regierung hat den kleinsten Anhang. Der König ist nicht gemacht ihn zu vergrössern: das hat man sehr wohl gewusst, sonst hätte man ihn nicht zum Schattenspiel brauchen können. In der Stadt läuft die Anekdote sehr laut herum, dass er in seinem Privattheater den Balordo vortrefflich macht, und niemand wundert sich darüber.

Es wurde hier von Meyers Nachrichten von Bonapartes Privatleben gesprochen; und Leclerk, der ihn doch wohl etwas näher kennen muss, soll darüber ganz eigene Berichtigungen gemacht haben. Die Feinheit der Kardinäle zeigte sich vorzüglich in der Papstwahl. Pius der Siebente war als Bischof von Imola Bonapartes Gastfreund gewesen: auf diesen Umstand und den individuellen Charakter des korsischen Franzosen liess sich schon etwas bauen. Du siehst es ist gegangen. In Imola kann man gut Maskerade spielen. Der Papst und seine Gesellen vergessen das Gebot des heiligen Anchises noch nicht, das er seinem frommen Sohne beym Abschied aus der Hölle gab; und wo Ein Mittel nicht hilft, hilft das andere. In eine eigene Verlegenheit kamen indessen die Herren mit der Madonna von Loretto, welche bekanntlich die Franzosen mit sich genommen hatten. Ein Mönch kommt nach ihrer Entfernung und sagt: Das habe ich gefürchtet, dass sie das heilige Wunderbild wegführen würden; desswegen habe ichs verborgen und ein anderes dafür hingestellt: hier ist das ächte. Dieses wird nun den Gläubigen zur Verehrung hingesetzt, ohne dass man in Rom sogleich etwas davon erfährt. — Ich habe es in Loretto selbst gesehen, mich aber um die Aechtheit des einen und des andern wenig bekümmert. — Nun unterhandelt man in Rom über das Pariser und die Franzosen schicken es mit Reue zurück. Es kommt in Rom an, wo es noch stehen soll. Nun fragt sich, welches ist das ächte? Eins ist so schlecht wie das andere, und beyde thun natürlich Wunder in die Wette.

Von den hiesigen Merkwürdigkeiten ist das beste in Palermo; die Mediceerin, die Familie der Niobe und die besten Bilder; doch hat die Gallerie immer noch sehr interessante Sachen, vorzüglich für die Deutschen. Mit der Mediceischen Venus ist es mir sonderbar genug gegangen. Ich wünschte vorzüglich auf meiner Pilgerschaft auch dieses Wunderbild zu sehen, und es ist mir nicht gelungen. In Palermo habe ich mit Sterzinger in dem nehmlichen Hause gegessen, wo oben die Schätze unter Schloss und Siegel und Wache standen. Sie waren durchaus nicht zu sehen. Der Inspektor von Florenz, der mit in Palermo war, hatte Hoffnung gemacht, ehe alles wieder zurückginge, würde er die Stücke zeigen. In Rom und Neapel wusste man öffentlich gar nicht recht, wo sie waren: denn man hatte absichtlich ausgesprengt, das Schiff, welches alles von Livorno nach Portici und weiter nach Palermo schaffen sollte, sey zu Grunde gegangen, um die Aufmerksamkeit der Franzosen abzuziehen. Es steht aber zu befürchten, sie werden eine gute Nase haben und sich die Dame mit ihrer Gesellschaft nachholen. So viel ich Abgüsse davon gesehen habe, keiner hat mich befriediget. Sie ist, nach meiner Meinung, wohl keine himmlische Venus, sondern ein gewöhnliches Menschenwesen, das die Begierden vielleicht mehr reitzen als beschwichtigen kann. Mir kommt es vor, ein Künstler hat seine schöne Geliebte zu einer Anadyomene gemacht; das Werk ist ihm ungewöhnlich gelungen: das ist das Ganze. Ueber die Stellung sind alle Künstler, welche Erfahrung haben, einig, dass es die gewöhnlichste ist, in welche sich die Weiblichkeit setzt, sobald das letzte Stückchen Gewand fällt, ohne je etwas von der Kunst gehört zu haben. Ich selbst hatte einst ein eigenes ganz naives Beyspiel davon, das ich Dir ganz schlicht erzählen will. Der Russische Hauptmann Graf Dessessarts — Gott tröste seine Seele, er ist wie ich höre an dem Versuche in Quiberon gestorben, den ich ihm nicht gerathen habe — er und ich, wir gingen einst in Warschau in ein Bad an der Weichsel. Dort fanden sich, wie es zu gehen pflegt, gefällige Mädchen ein, und eine junge allerliebste niedliche Sünderin von ungefähr sechzehn Jahren brachte uns den Thee, um wahrscheinlich auch gelegenheitlich zu sehen ob Geschäfte zu machen wären. Wir waren beyde etwas zu ernsthaft. Das arme artige Geschöpfchen dauert mich, sagte der Graf; aber der Franzose konnte doch seinen Charakter nicht ganz verläugnen. Je voudrais pourtant la voir toute entiere, sagte er, und machte ihr den Vorschlag und bot viel dafür. Das Mädchen war verlegen und bekannte, dass sie für einen Dukaten in der letzten Instanz gefällig seyn würde; aber zur Schau wollte sie sich nicht verstehen. Mein Kamerad verstand seine Logik, brachte mit feiner Schmeicheley ihre Eitelkeit ins Spiel, und sie gab endlich für die doppelte Summe mit einigem Widerwillen ihr Modell. Sobald die letzte Falte fiel, warf sie sich in die nehmliche Stellung. Voilà la coquine de Medicis! sagte der Graf. Es war ein gemeines pohlnisches Mädchen mit den Geschenken der Natur, die für ihren Hetärensold sich etwas reitzend gekleidet hatte; eine Wissenschaft, in der die Pohlinnen vielleicht den Pariserinnen noch Unterricht geben könnten. Allemal ist mir bey einem Bild der Aphrodite Medicis die Pohlin eingefallen und meine Konjunktur kam zurück; und mancher Künstler war nicht übel Willens meiner Meinung beyzutreten. Urania könnte in der Glorie ihrer hohen siegenden Unschuld keinen Gedanken an diese Kleinigkeit haben, die nur ein Satyr bemerken könnte. Ihr Postament war jetzt hier leer.

Es ist vielleicht doch auch jetzt noch keine unnütze Frage, ob Moralität und reiner Geschmack nicht leidet durch die Aufstellung des ganz Nackten an öffentlichen Orten. Der Künstler mag es zu seiner Vollendung brauchen, muss es brauchen: aber mich däucht, dass Sokrates sodann seine Grazien mit Recht bekleidete. Kabinette und Museen sind in dieser Rücksicht keine öffentlichen Orte; denn es geht nur hin wer Beruf hat und wer sich schon etwas über das Gewöhnliche hebt. Sonst bin ich dem Nakten in Gärten und auf Spaziergängen eben nicht hold, ob mir gleich die Feigenblätter noch weniger gefallen. Empörend aber ist es für Geschmack und Feinheit des Gefühls, wenn man in unserm Vaterlande in der schönsten Gegend das hässlichste Bild der Aphrodite Pandemos mit den hässlichsten Attributen zuweilen aufgestellt sieht. Das heisst die Sittenlosigkeit auf der Strasse predigen; und bloss ein tiefes Gefühl für Freyheit und Gerechtigkeit hat mich gehindert, die schändlichen Missgeburten zu zertrümmern oder in die Tiefe des Flusses zu stürzen.

Auf der Ambrosischen Bibliothek zu studieren hatte ich nicht Zeit. Die Philologen müssen in die Bibliothek der Grafen Riccardi gehen, wo sie für ihr Fach die besten Schätze finden. Mir war es jetzt wichtiger in der Kirche Santa Croce die Monumente einiger grossen Männer aufzusuchen, die sich zu Bürgern des ganzen Menschengeschlechts gemacht haben. Rechts ist vorn das Grabmal Bonarottis, und weiter hinunter auf der nehmlichen Seite Machiavellis, und links der Denkstein Galileis. Es verwahrt wohl kaum ein Plätzchen der Erde die Asche so vortrefflicher Männer nahe beysammen.

Für den Antiquar und den Gelehrten ist von unserer Nation jezt in Florenz noch ein wichtiger Mann, der preussische Geheime Rath Baron von Schellersheim, ein Mann von offenem rechtlichen Charakter und vielen feinen Kenntnissen, dem sein Vermögen erlaubt, seiner Neigung für Kunst und Wissenschaft mehr zu opfern als ein anderer. Er besitzt vielleicht mehr antike Schätze, als irgend ein anderer Privatmann. Was ich bey ihm gesehen habe, war vorzüglich, eine komplette alte römische Toilette von Silber; ein grosses altes silbernes ziemlich kubisches Gefäss, welches ein Hochzeitgeschenk gewesen zu seyn und Hochzeitgeschenke enthalten zu haben scheint. Auf den vier Seiten sind von der ersten Bewerbung bis zur Nachhauseführung die Scenen der römischen Hochzeitgebräuche abgebildet. Dieses ist vielleicht das grösste silberne Monument der alten Kunst, das man noch hat. Ferner hat er vier silberne Sinnbilder der vier Hauptstädte des römischen Reichs, Rom, Byzanz, Antiochia und Alexandria, welche die Konsuln oder vielleicht auch die andern kurrulischen Magistraturen an den Enden der Stangen ihrer Tragsessel führten. Diese scheinen etwas neuer zu seyn. Weiter besitzt er einige alte komplette silberne Pferdegeschirre, mit Stirnstücken und Bruststücken. Aber das Wichtigste sind seine geschnittenen Steine, unter welchen sich mehrere von seltenem Werth finden, und seine römischen Goldmünzen; mehrere konsularische von Pompejus an, und fast die ganze Folge der Kaisermünzen, von Julius Cäsar bis Augustulus. Hier fehlen nur wenige wichtige Stücke. Du siehst dass dieses eine Liebhaberey nicht für jedermann ist. Ich schreibe Dir dieses etwas umständlicher, weil es Dich vielleicht interessiert und Du es noch nicht in Büchern findest: denn seine Sammlung ist noch nicht alt.

Die schönen Gegenden um Florenz zwischen den Bergen an dem Flusse auf und ab sind bekannt genug, und Du erwartest gewiss nicht, dass ich als Spaziergänger Dir alle die andern Merkwürdigkeiten aufführe. Das hiesige Militär kam mir traurig vor; schöne Leute, aber ohne Wendung und Geschicklichkeit. Zum Abschied sahe ich den Morgen noch die Amalfischen Pandekten; und die Franzosen haben sich etwas bey mir in Kredit gesetzt, dass sie diesen Kodex nicht genommen haben; und gegen Abend wohnte ich auf dem alten Schlosse einer Akademie der Georgophilen bey. Hier hielt man eine Vorlesung über die vortheilhafteste Mischung der Erdarten zur besten Vegetation, und sodann las einer der Herren eine Einleitung zu einem chemisch physischen System. Zum Ende zeigte man einige seltene neue Naturprodukte. Neben meinem Zimmer im Bären wohnte eine französische Familie, nur durch eine dünne Wand getrennt; diese betete den Abend über eine ganze Stunde ununterbrochen so inbrünstig und laut, dass mir über der Andacht bange ward. Seit Ostern ist, wie ich höre, überall das Religionswesen wieder Mode; und in Frankreich scheint alles durchaus nur als Mode behandelt zu werden.

Nach Bologna hatte ich mich über den Berg wieder an einen Vetturino verdungen und fand im Wagen einen französischen Chirurgus, der von der Armee aus Unteritalien kam, und eine italiänische Dame mit ihrem kleinen Sohn auf dem Schosse; und endlich kam noch ein Schweizerischer Kriegskommissär mit einem furchtbar grossen Säbel, der in Handelsgeschäften seines Hauses gereist war. Die Dame, eine Frau von Rosenthal, deren Mann östreichischer Offizier war, ging ganz allein mit ihrem Kinde, einem schönen sehr lieblichen Knaben von ungefähr anderthalb Jahr, nach Venedig, um dort ihren Mann zu erwarten, der in Livorno und anderwärts noch Dienstgeschäfte hatte. Da der Junge ein überkomplettes Persönchen im Wagen und doch so allerliebst war, machte er die Ronde von der Mutter zu uns allen. Die Gesellschaft lachte über meine grämliche Personalität mit dem Kleinen auf dem Arm, und ich kam mir wirklich selbst vor wie der Silen im Kabinett Borghese mit dem jungen Bacchus. Die Leutchen mussten das nehmliche meinen; denn die Gruppierung fand Beyfall und der Junge war gern bey mir.

Der Berg von Florenz aus ist ein wahrer Garten bis fast auf die grösste Höhe. Du kannst denken, dass ich viel zu Fusse ging; der Franzose leistete mir dann zuweilen Gesellschaft. Der Schweizer mit dem grosen Säbel kam selten aus dem Wagen. Etwas unheimisch machen es oben auf dem Bergrücken die vielen Kreuze, welche bedeuten, dass man hier jemand todt geschlagen hat, weil man gewöhnlich auf die Gräber Kreuze setzt. Die Römer sind in diesem Falle etwas weniger fromm und politischer, und setzen nichts darauf; denn sonst würde der ganze Weg bey ihnen eine Allee von Kreuzen seyn. Ich muss Dir bekennen, dass ich von dem Kreuze gar nicht viel halte. Warum nimmt man nicht etwas besseres aus der Bibel? Das Emblem scheint von der geistlichen und weltlichen Despotie in Gemeinschaft erfunden zu seyn, um alles kühne Emporstteben der Menschennatur zur knechtischen Geduld nieder zu drücken, und diese subalterne Tugend zur höchsten Vollkommenheit der Moral zu erheben. Wozu braucht man Gerechtigkeit, Grossmuth und Standhaftigkeit? Man predigt Geduld und Demuth. Demuth ist nach der Etymologie Muth zu dienen, und die zweydeutigste aller Tugenden. In der alten griechischen uud römischen Moral findet man diese Tugend nicht; und die Einführung ist kein Vorzug der christlichen. Sie kann nur im Evangelium der Despoten stehen, welche sie aber für sich selbst doch sehr entbehrlich finden. Es ist freylich auch philosophisch besser, Unrecht leiden als Unrecht thun; aber es giebt ein Drittes, das vernünftiger und edler ist als beydes: mit Muth und Kraft verhindern, dass durchaus kein Unrecht geschehe. In unserm lieben Vaterlande hat man das Kreuz zwar meistens weggenommen, aber dafür den Galgen hingesetzt. So schlecht auch dieser ist, kommt er mir doch noch etwas besser vor. Christus hat gewiss seiner Religion keinen so jämmerlichen Anstrich geben wollen, als sie nachher durch ihre unglücklichen Bonzen bekommen hat. Freylich, wenn man den Gekreuzigten nicht an allen Feldwegen zeigte, könnte es doch wohl der Menge einfallen, ihre Urbefugnisse etwas näher zu untersuchen und zu finden, dass keine Konsequenz darin ist, sich durch den Druck des Feudalsystems und das Privilegienwesen kreuzigen zu lassen. Berechnet ist es ziemlich gut, wenn es nur gut wäre.

Bey Pietramala sahe ich oben den zweydeutigen Vulkan nicht, weil er zu weit rechts hinüber in den Felsen lag und der Wagen nicht anhalten wollte. Nun hatten wir von den Oelbäumen Abschied genommen; auf dieser Seite des Apennins sind sie nicht mehr zu finden. Auf der Südseite sind Oelbäume, auf der Nordseite nach Bologna herüber Kastanien. Man kommt nun wieder dem lieben Vaterlande näher; alles gewinnt diesseit des Bergs schon eine etwas mehr nördliche Gestalt. Mein alter gelehrter Cicerone in Bologna hatte eine grosse Freude mich glücklich wieder zu sehen; und ich lief mit ihm so viel herum, als man in zwey Tagen laufen konnte. Aber der Schweizer Kriegskommissär führte mich mehr in die Kaffeehäuser als in die Museen. Ein pohlnischer Hauptmann von der Legion, der, wie ich in Mailand fand, sich selbst einige Grade avanciert und hier geheirathet hatte, schloss sich geflissentlich an uns an und freute sich mit Deutschen deutsch zu plaudern: denn er war lange kaiserlicher Unteroffizier gewesen. Der Mensch sagte, er sey in seinem Leben kein Republikaner gewesen, das liess sich von einem pohlnischen Edelmann sehr leicht denken, und er sey nun froh, dass die H—e von Freyheit nach und nach wieder abgeschaft werde. Man hatte eben das Wappen über dem Generalzollhause geändert, und anstatt der Freyheit die Gerechtigkeit hingesetzt; welches eigentlich eins ist. Die wahre Freyheit ist nichts anders als Gerechtigkeit: nur behüte uns der Himmel vor Freyheiten und Gerechtigkeiten. Sodann erhob er die Tapferkeit und die Kriegszucht der Pohlen, von der ich selbst Beweise hatte, und an welcher ich also nicht zweifelte.

Von allen Merkwürdigkeiten, die ich in Bologna noch zu sehen genöthigt war, will ich Dir nur die Galerie Sampieri erwähnen. Sie ist nicht gross, aber köstlich. Die Plafonds sind von den drey Caracci, Hannibal, Ludwig und August, und könnten mit Ehren in Rom unter den besten stehen. Das schönste Stück der Sammlung, und nach einigen die beste Arbeit von Guido Reni, ist der reuige Petrus. Die Kunst mag allerdings dieses Urtheil der Kenner rechtfertigen; aber mich hat weit mehr beschäftigt die Hagar von Guercino. Dieser Künstler hat den Mythus gefasst, wie Rechtlichkeit und Humanität es fordern, nicht wie die leichtgläubige Frömmigkeit ihn herbetet. Hagar ist ein schönes herrliches Ehrfurcht gebietendes Weib, das in dem Gefühl seines Werths da steht; der Vater der Gläubigen ist ein jämmerlicher Sünder unter dem Scepter seiner Ehehälfre, und diese kann halb versteckt ihre kleine boshafte neidische Seele kaum verbergen. Nur dem Knaben Ismael wäre vielleicht jetzt schon etwas mehr von dem kühnen Trotze zu wünschen, der ihn in der Folge so vortheilhaft auszeichnet. Es kann mit der Volksbildung nicht wohl weiter gedeihen, so lange man noch dieses Buch als göttliche Norm der Moral aufdringt und jedes Jota desselben mit Theopnevstie stempelt. Es enthält so vielen schiefen Sinn, so viele Unsittlichkeiten in Beyspielen und Vorschriften, dass ich oft mit vieler Ueberlegung zu sagen pflege, der Himmel möge mich vor Davids Frömmigkeit und Salomons Weisheit behüten. Man windet sich hierüber eben so schlecht, wie bey der Vergebung der Sünden. Wenn man das Ganze als ein Gewebe menschlicher Thorheiten und Tugenden, als einen Kampf der erwachenden Vernunft mit den despotischen und hierarchischen Kniffen nähme, so wäre das Gamälde unterhaltend genug, und als das älteste Dokument der Menschenkunde heilig: aber wozu dieses dem Volke, das davon nichts brauchen kann? Das Papstthum hat vielleicht keinen glücklichern Einfall gehabt, als dem Volke dieses Buch zu entziehen; wenn man ihm nur etwas reineres und besseres dafür gegeben hätte. Die Legenden der Heiligen aber und die Ausgeburten des Aberglaubens aus dem Mittelalter sind freylich noch viel schlimmer. Was den ersten heiligsten Geboten der Vernunft widerspricht, das kann kein heiliger Geist als Wahrheit stempeln.

Von Bologna aus nahm ich meinen Tornister wieder auf die Schulter und pilgerte durch die grosse schöne Ebene herüber nach Mailand. In Modena gefiel mirs sehr wohl, ohne dass ich den erbeuteten Eimer sah. Die Stadt ist reinlich und lebendig und lachend; die Wirthshäuser Kaffeehäuser, sind gut und billig. Ein ganzes Dutzend Tambours schlugen den Zapfenstreich durch die ganze Stadt, ohne dass ein einziges Bajonett dabey gewesen wäre. In der neuen Republik ist man wenigstens überall sicher; die Polizey ist ordentlich und wachsam, und alles bekommt ein rechtliches Ansehen. Masena, der hier kommandierte, ergriff eine herrliche Methode Sicherheit zu schaffen. Einige Schweizer Kaufleute waren in der Gegend geplündert worden; der General liess sie arretieren und die Sache strenge untersuchen; die Angabe war richtig. Nun wurden die Gemeinheiten, in deren Bezirke die Schurkerey geschehen war, gezwungen das Geld zu ersetzen, und man liess die Fremden ziehen. Ich finde darin, wenn es durchaus mit Strenge und Genauigkeit geschieht, keine Ungerechtigkeit.

In Reggio lag ein Pohlnisches Bataillon, und ein Unteroffizier desselben, der am Thore die Wache hatte und ein Anspacher war, freute sich höchlich wieder einen preussischen Pass zu sehen, den ich mir von dem preussischen Residenten in Rom hatte geben lassen, weil ich ihn mit Recht zu meiner Absicht für den besten hielt.

Nun wollte ich den Abend in Parma bleiben und einen oder zwey Tage dort ausruhen und Bodoni sehen, an den ich Briefe von Rom hatte. Aber höre, wie schnurrig ich um das Vergnügen gebracht wurde. Am Thore wurde ich den achten Juny mit vieler Aengstlichkeit examiniert und sodann mit einem Gefreyten nach der Hauptwache geschickt. Ich kannte die Bocksbeuteley, ob sie mir gleich hier zum ersten Mal begegnete. Unterwegs freuete ich mich über die gutaussehenden Kaffeehäuser und sass schon im Geist bey einer Schale Eis: denn ich hatte einen warmen Marsch gehabt. Die Parmesaner sassen gemüthlich dort und schienen viel Bonhommie zu präsentieren; nur hier und da zeigte sich ein breites aufgedunsenes Gesicht, wie ihr Käse. Auf der Hauptwache las der Offizier meinen Pass, rief einen andern Gefreyten und befahl ihm mit mir zu gehen. Ich glaubte, ich sollte zu dem Kommandanten gebracht werden, und hoffte schon auf eine ähnliche Bewirthung, wie in Augusta in Sicilien. Aber der Zug dauerte mir sehr lange; ich fragte und erfuhr, ich müsste zum Thore hinaus, ich dürfte nicht in der Stadt wohnen. Es war mir gleich aufs Herz gefallen, als ich auf dem Markte die Grenadiere so entsetzlich schön gepudert sah. Die Kerle trugen hinten Merletons, so gross wie das Kattegat. Ich foderte, man sollte mich zum Kommandanten bringen. Ma, mio caro, non posso mica; sagte er. Ich drang darauf. Ma, mio caro, non sapete il servizio; questo, non posso mica. Ich alter Kriegsknecht musste mir die Sottise gefallen lassen. Warum hatte ich mich vergessen? Der Mensch hatte Recht. Wir kamen ans Thor und ich fragte den Offizier, indem ich ihm meinen Pass wies, ob das eine humane Art wäre, einen ehrlichen Mann zu behandeln. Er sah mich an, sagte mir höfliche Worte und berief sich auf Befehl. Ich verlangte noch einmal zum Kommandanten gebracht zu werden; ich wollte hier bleiben, ich hätte Geschäfte. Er zuckte die Schultern; ein alter Sergeant, der ein etwas liberaleres Antlitz hatte, meinte, man könnte mich doch hinschicken; der Offizier war unschlüssig: Ma, mio caro, non possiamo mica, sagte der Gefreyte von der Hauptwache, der noch dabey stand. Der Offizier sagte mir, er könne mir jetzt nicht helfen, ich könne morgen wieder herein kommen und dann thun was ich wolle. Jetzt ging ich trotzig den Weg zum Thore hinaus. Der Gefreyte hätte keine bessere Charakteristik von Parma und den Parmesanern geben können: Ma, mio caro, non possono mica. Aergerlich und halb lachend ging ich in ein Wirthshaus eine gute Strecke vor dem Thore. Das nenne ich mir eine aufmerksame besorgliche Polizey. Ich hatte in Reggio den Bart machen lassen, ein reines feines Hemd angezogen, mich geputzt und gebürstet. Ihre problematischen Landsleute zwischen Alikata und Terranuova, und ihre nicht problematischen Landsleute zwischen Gensano und Aricia hatten zwar bey ihrer braven Visitation einige Schismen in Rock und Weste gebracht; aber dessen ungeachtet hatte man noch in Bologna in guter Gesellschaft meinen Aufzug für sehr honorig erklärt. Ich zog einige Mal meine goldene Uhr und erbot mich zehn Louisdor Kaution zu machen, und im Passe war ich stattlich mit Signor betitelt: nichts, man gestattete mir kein Quartier in der Stadt. Und nun denkst Du, dass ich den andern Morgen hinein ging und mich des fernern erkundigte? Das liess ich hübsch bleiben. Wenn ich im Himmel abgewiesen werde, komme ich nicht wieder: diese Ehre erhalten die Parmesaner nicht. Ich ass gut und schlief gut, und schlug den andern Morgen den Weg nach Piacenza ein. Man merkte, dass die Leute hier in Parma noch orthodox und nicht von der Ketzerey ihrer Nachbarn angesteckt sind; denn ich sah hier wieder viele Dolche und Schiessgewehre, wie bey den ächten Italiänern jenseits der Berge. Die Nachtigallen sangen so herrlich und so schmetternd, und ich wunderte mich, wie sie in der Nähe eines so konfiscierten Orts noch einen Ton anschlagen konnten. Aber sie schlugen fort und endlich vergass ich das Eis, den Käse, Bodoni und Mica, und wandelte auf den Po zu. Ich hatte in Rom ein herrliches Gemälde von dem Uebergange über den Fluss aus dem letzten Kriege gesehen: der Künstler war hier gewesen und hatte nach der Natur gearbeitet und ein Meisterstück der Perspektive gemacht. Jetzt suchte ich mich zu orientieren. Der Ort ist sehr leer und öde, aber der Fluss macht schöne Parthien.

In Lodi ass ich wohl ruhiger zu Mittage als Bonaparte, wenn ich mir gleich nicht so viel Ruhm erwarb, und konnte gemächlich den Posten besehen, wo man geschlagen hatte. Unter andern guten Sachen traf ich hier die schönsten Kirschen, die ich vielleicht je gegessen habe. Wenn gleich das alte Laus Pompeji nicht gerade hier lag, so ist doch wohl der Name daraus gemacht und der Ort daraus entstanden: wenigstens wird das hier auf einem Marmor am Rathhause behauptet. Die Männer von Lodi müssen ein sinnreiches Geschlecht seyn; das sahe man an ihren Schildern. Unter andern hatte ein Schuhmacher auf dem seinigen einen Genius, der sehr geistreich das Mass nahm.

Hier in Mailand verlasse ich nun Hesperien ganz, und bin schon längst nicht mehr in dem Lande, wo die Ziteronen blühn. In Rom sagte man, dass das Erdbeben vorigen Monat den Dom von Mailand sehr beschädigt habe; es ist aber kein Stein herunter geworfen worden. Dieses gothische Gebäude streitet vielleicht mit dem Münster in Strassburg um den Vorzug, ob es gleich nicht vollendet ist, und es vielleicht auch nie werden wird. In der Kapitale der italischen Republik geht alles nach gallischen Gesetzen; und hier und dort, wie Du weisst, alles nach dem Willen des korsischen Avtokrators. Wenn es nur gut ginge, wäre vielleicht nicht viel dawider zu sagen. Man scheint hier der goldenen Freyheit nicht durchaus ausserordentlich hold zu seyn. Einer meiner Bekannten begleitete mich etwas durch die Stadt und unter andern auch in die Kathedrale. Hinter der kunstreichen Krypte des heiligen Borromeus steht in einer Nische der geschundene heilige Bartholomeus, mit der Haut auf den Schultern hangend. Er gilt für eine grässlich schöne Anatomie. Der Italiäner stand und betrachtete ihn einige Minuten: das sind wir, sagte er endlich; die Augen hat man uns gelassen, damit wir unser Elend sehen können. Die Franzosen machen eine schöne Parade vor dem Pallast der Republik: nur wird es mir schwer, die allgewaltigen Sieger in ihnen zu erkennen, vor denen Europa gezittert hat. Das alte weitläufige Schloss vor der Stadt wird sehr verengt und vor demselben der Platz Bonaparte gemacht: jetzt ist dort noch alles wüste und leer.

Vor allen Dingen besuchte ich noch das berühmte Abendmahlsgemälde von Leonardo da Vinci in dem Kloster der heiligen Maria. Das Kloster ist jetzt leer, und das Refektorium, wo das Gemälde an der Wand ist, war während der Revolution, wie man sagt, einige Zeit sogar ein Pferdestall. Das Stück ist einige Mal restauriert, Volpato hat es zuletzt gezeichnet und Morghen gestochen, und wahrscheinlich ist der Stich, der für ein Meisterstück der Kunst gilt, auch bey euch schon zu haben: Du magst ihn also sehen und urtheilen. Ich sah ihn in Rom zum ersten Mal. Auch in dem verfallenen Zustande ist mir das Original noch weit lieber als der Stich, so schön auch dieser ist. Volpato ist vielleicht etwas willkührlich bey der Kopierung zu Werke gegangen, da das Stück dem gänzlichen Verfalle sehr nahe ist. Wir sind indessen dem Künstler Danck schuldig für die Rettung. Ich sage nichts von dem schönen Charakter der übrigen Jünger; mit vorzüglich feinem Urtheil hat der Maler den Säckelmeister Judas Ischariot behandelt, damit er die ehrwürdige Gesellschaft nicht durch zu grellen Kontrast schände. Auch der Geist des Mannes ist nicht verfehlt. Er sitzt da, wie ein kühner tiefsinniger mit sich selbst nicht ganz unzufriedener Finanzminister, der einen grossen Streich wagt: er rechnete für die Gesellschaft, nicht für sich. Auch psychologisch ist Ischariot noch kein Bösewicht; nur ein Unbesonnener. Ein Bösewicht hätte sich nicht getödtet. Er glaubte, der Prophet würde sich mit Ehre retten. Ich möchte freylich nicht Judas seyn und meinen Freund auf diese Weise in Gefahr setzen: aber eben vielleicht nur darum nicht, weil ich nicht so viel Glauben habe als er. — Jetzt muss man auf einer Leiter hinunter steigen in den Saal, der untere Eingang ist vermauert: und nun leidet das Stück durch feuchte dumpfe Luft vielleicht eben so sehr, als vorher durch andere üble Behandlung.

Hier sah ich seit der heiligen Cecilie in Palermo wieder das erste Theater. In Neapel brachte mich Januar darum, weil acht Tage vor und acht Tage nach seinem Feste kein Theater geöffnet wird. Ohne Spiel wollte ich auch das Karlstheater nicht sehen. In Rom machten mir meine Freunde eine so schlimme Schilderung von dem dortigen Theaterwesen, dass ich gar nicht Lust bekam eins zu suchen. Man sagt, das Haus sey hier eben so gross, als das grosse in Neapel. Der Gesang war nicht ausgezeichnet und für das grosse Haus zu schwach. Man erzählte mir hier eine Anekdote von der Strinasacchi, die jetzt in Paris ist. Ich gebe sie Dir, wie ich sie hörte: sie ist mir wahrscheinlich, weil uns etwas ähnliches mit ihr in Leipzig begegnete, nur dass weder unser Missfallen noch unser Enthusiasmus so weit ging als die italiänische Lebhaftigkeit. Die Natur hat ihr nicht die Annehmlichkeiten der Person auf dem Theater gegeben. Bey ihrer ersten Erscheinung erschrak hier das ganze Haus so sehr vor ihrer Gestalt und gerieth so in Unwillen, dass man sie durchaus nicht wollte singen lassen. Der Direktor musste erscheinen und es sich als eine grosse Gefälligkeit für sich selbst erbitten, dass man ihr nur eine einzige Scene erlaubte, dann möchte man verurtheilen, wenn man wollte. Die Wirkung war voraus zu sehen; man war beschämt und ging nun in einen rauschenden Enthusiasmus über: und nach Endigung des Stücks spannte man die Pferde vom Wagen und fuhr die Sängerin durch einen grossen Theil der Stadt nach Hause. Es wäre eine psychologisch nicht unwichtige Frage, das aufrichtige Bekenntniss der Weiber zu hören, ob sie das zweyte für das erste erkaufen wollten. Die Heldin selbst hat keine Stimme mehr über die Sache.

Das Ballet war schottisch und sehr militärisch. Man arbeitete mit einer grossen Menge Gewehr und sogar mit Kanonen: und das Ganze machte sich auf dem grossen Raume sehr gut. Der Charaktertanz war aber mangelhaft, vorzüglich bei der Mutter. Man hatte gute Springer, aber keine Tänzer; ein gewöhnlicher Fehler, wo das Ganze nicht mit Einer Seele arbeitet. Ich habe nie wieder so gute Pantomime gesehen als in Warschau aus der Schule des Königs Poniatowsky. An ihm ist ein grosser Balletmeister verloren gegangen und ein schlechter König gewonnen worden.

In Rom hatte ich einige Höflichkeitsaufträge an den General Dombrowsky erhalten und er nahm mich mit vieler Freundlichkeit auf und lud mich mit nordischer Gastfreyheit auf die ganze Zeit meines Hierseyns an seinen Tisch. Hier fand ich mit ihm und andern von Pohlen aus Berührung. Ich hatte ihn einige Mal in Suworows Hauptquartiere gesehen; und er hatte von seinem ersten Dienst unser Vaterland Sachsen noch sehr lieb. Er ist einer von den heutigen Generalen, die die meiste Wissenschaft ihres Faches haben; und Du findest bey ihm Bücher und Charten, die Du vielleicht an vielen andern Orten vergebens suchst. Er ist ein sehr freyer strenger Beurtheiler militärischer Zeichnungen, fordert das Wesentliche und bekümmert sich nicht um zierliche Kleinigkeiten. Er hat eine schöne Sammlung guter Kupferstiche von den Köpfen grosser Männer; besonders ist darunter ein Gustav Adolph, der sehr alt und charakteristisch ist und auf den er viel hält. Eine Anekdote aus diesem nur geendigten Kriege wird Dir vielleicht nicht unangenehm seyn. Dombrowsky liebt Schillers dreyssigjährigen Krieg und trug ihn in seinen Feldzügen in der Tasche. Bey Novi schlug eine Kugel gerade auf den Ort, wo unten das Buch lag; und dadurch wurde ihm wahrscheinlich das Leben gerettet Ich habe das durchschlagene Exemplar selbst in Rom gesehen, wo er es einem Freunde zum Andenken geschenkt hat, und die Erzählung aus dem eigenen Munde des Generals. Er sagte mir lachend, Schiller hat mich gerettet, aber er ist vielleicht auch Schuld an der Gefahr: denn die Kugel hat eine Unwahrheit heraus geschlagen. Es stand dort, die Pohlen haben in der Schlacht bey Lützen gefochten: das ist nicht wahr; es waren Kroaten. Die Pohlen haben nie für Geld geschlagen: selbst jetzt schlugen wir noch für unser Vaterland; ob es gleich nunmehr unwiederbringlich verloren ist. Das gab etwas Sichtung der vergangenen Politik. Ich meinte, es wäre voraus zu sehen gewesen, dass für Pohlen keine Rettung mehr war. Die Franzosen würden sich in ihrer noch kritischen Lage nicht der ganzen Wirkung der furchtbaren Tripleallianz bloss stellen, um ein Zwitterding von Republik wieder zu etablieren, an deren Existenz sie nun gar kein Interesse mehr hatten. Die Eifersucht zwischen den grossen mächtigen Nachbarn ist wahrscheinlich und ihnen vortheilhaft. Wenn die Pohlen noch unter einem einzigen Herrn wären, so liesse sich durch eben diese Eifersucht noch Rettung denken. Das schienen sie vorher selbst zu fühlen, und thaten, da die Katastrophe nun einmal herbey geführt war, hier und da etwas, um unter Einen Herrn zu kommen. Ich weiss selbst, dass ich als russischer Offizier in Posen vor der Hauptwache vor den preussischen Kanonen von einem Dutzend junger Pohlen belagert wurde, die mirs nahe ans Herz legten, dass doch die Kaiserin sie alle nehmen möchte; sie sollte ihnen nur einige Bataillone Hülfe schicken, so wollten sie die Preussen zurückschlagen. Sie brachten eine Menge speciöse Gründe, warum sie lieber russische Unterthanen zu seyn wünschten; aber die wahren verbargen sie gewiss. Sie dachten unstreitig, bleiben wir beysammen, so können wir durch irgend eine Konjunktur bald wieder politische Existenz gewinnen. Der General fand die Schlussfolge ziemlich bündig, sagte aber, ein Patriot dürfe und müsse die letzte schwache Hoffnung für sein Vaterland versuchen. Das ist brav und edel.

Die Pohlen haben hier noch ganz ihre alte Organisation und tragen ihre alten Abzeichen, so dass man die alten Offiziere noch für Sachsen halten könnte, Der Mangel im Kriege muss in Italien zuweilen hoch gestiegen seyn; denn es wurde erzählt, dass einmal die Portion des Soldaten auf acht Kastanien und vier Frösche reduciret gewesen sey. Die Zufriedenheit wird gegenseitig mit einer ganz eigenen Art militärisch drolliger Vertraulichkeit geäussert. So sagten die Franzosen von den Pohlen: Ah ce sont de braves coquins; ils mangent comme les loups, boivent diablement, et se battent comme les lions. Die Pohlnischen Offiziere konnten den französischen Soldaten nicht Lob genug ertheilen über ihren Muth, ihre Unverdrossenheit und ihren pünktlichen Gehorsam. Wo die Franzosen nicht durchdrangen, waren gewiss alle Mal ihre Anführer Schuld daran. Es wurde behauptet, dass das Pohlnische Corps bey der letzten Musterung noch 15000 Mann stark gewesen sey; und jetzt wird eben in Livorno ein Theil davon nach Sankt Domingo eingeschifft. Es hat das Ansehen, als ob Bonaparte alle Truppen, die ihm zu seinen Absichten in Europa als etwas undienstlich vorkommen, auf diese gute kluge Weise fortzuschaffen suche, welches man auch hier und da zu merken scheint. Auch werden die Unruhen dort vielleicht geflissentlich nicht so schnell gedämpft, als wohl sonst die französische Energie vermöchte.

Die freundliche Aufnahme des Generals hielt mich mehrere Tage länger hier, als ich zu bleiben gesonnen war; und in den Mussenstunden lese ich mit viel Genuss Wielands Oberon, den mir ein Landsmann brachte. Die ersten Tage hatte man mich im Wirthshause mit einem gewissen Misstrauen wie einen gewöhnlichen Tornisterträger behandelt, da ich aber täglich zum General ging, feine Hemden in die Wäsche gab, artige Leute zum Besuch auf meinem Zimmer empfing, und vorzüglich wohl da ich einige schwere Goldstücke wechseln liess, ward das ganze Haus vom Prinzipal bis zum letzten Stubenfeger ungewöhnlich artig. Noch muss ich Dir bemerken, dass ich in Mailand von ganz Italien nach meinem Geschmack die schönsten Weiber gefunden habe; den Korso in Rom nicht ausgenommen. Ich urtheile nach den Promenaden, die hier sehr volkreich sind, und nach den Schauspielen. Hier im Hause hatte ich nun vermuthlich, wie in Italien oft, das Unglück, für einen reichen Sonderling zu gelten, den man nach seiner Weise behandeln müsse. Ich mochte in Unteritalien und Sicilien oft protestieren so viel ich wollte, und meine Deutschheit behaupten, so war ich immer Signor Inglese und Eccellenza; und man machte die Rechnung darnach. So etwas mochte man auch nach verjüngtem Massstabe in Mailand denken. Die Industrie ist mancherley. Ich sass an einem Sonntag Morgens recht ruhig in meinem Zimmer und las wirklich zufällig etwas in den Libertinagen Katulls; da klopfte es und auf meinen Ruf trat ein Mädchen ins Zimmer, das die sechste Bitte auch ohne Katull stark genug dargestellt hätte. Die junge schöne Sünderin schien ihre Erscheinung mit den feinsten Hetärenkünste berechnet zu haben. Ich will durch ihre Beschreibung mein Verdienst weder als Stilist noch als Philosoph zu erhöhen suchen. Signore comanda qualche cosa? fragte sie in lieblich lispelndem Ton, indem sie die niedliche Hand an einem Körbchen spielen liess und Miene machte es zu öffnen. Ich sah sie etwas betroffen an und brauchte einige Augenblicke, ehe ich etwas unschlüssig No antwortete. Niente? fragte sie, und der Teufel muss ihr im Ton Unterricht gegeben haben. Ich warf den Katull ins Fenster und war höchst wahrscheinlich im Begriff eine Sottise zu sagen oder gar zu begehen, als mir schnell die ernstere Philosophie still eine Ohrfeige gab. Niente, brummte ich grämelnd, halb mit mir selbst in Zwist; und die Versucherin nahm mit unbeschreiblicher Grazie Abschied. Wer weiss, ob ich nicht das Körbchen etwas näher untersucht hätte, wenn die Teufelin zum dritten Mal mit der nehmlichen Stimme gefragt hätte, ob gar nichts gefiele. So war die Sache, mein Freund; und wäre sie anders gewesen, so bin ich nicht so engbrüstig und könnte sie Dir anders oder gar nicht erzählt haben. Ich ging also nur leidlich mit mir zufrieden zum General.