Hier bin ich wieder von der Runde zurück. Der letzte Zug von Messina hierher war der beschwerlichste, aber er hat auch viel belohnendes. Die Berge hierher waren mir gar fürchterlich beschrieben worden; ich miethete mir also einen Maulesel mit seinem Führer und setzte ruhig aus. Beschäftigt mit den alten Messeniern, der eisernen Tyranney der Spartaner, der muthigen Flucht der braven Männer nach Zankle und allen ihren Schicksalen, Unglücksfällen, Ausartungen und Erholungen, die Seele voll von diesen Gedanken stieg ich neben meinem Maulesel den Berg herauf und blieb oft stehen, einen Rückblick auf zwey so schöne Länder zugleich zu nehmen. Melazzo auf einer weitausgehenden Landzunge macht von fern einen hübschen Anblick, und das Land umher scheint nicht übel gebaut zu seyn. Auch diese Gegend hat viel im letzten Erdbeben gelitten. Unten am Pelor sahe ich zum ersten Mal wieder grüne vaterländische Eichen und die Nachtigallen schlugen wetteifernd aus den Schluchten. Mir ward auf einmal so heimisch wohl dabey, dass ich hier hätte bleiben mögen. Es geht doch nichts über einen deutschen Eichenwald. Bey Barcellona, wie man den Ort nannte, sah ich das schönste Thal in ganz Sicilien; und andere sind, däucht mich, schon vor mir dieser Meinung gewesen. Es ist ein reitzendes Gemische von Früchten aller Art, Orangen und Oel, Feigen und Wein, Bohnen und Weitzen; und die anschliessenden Berge sind nicht zu hoch und rauh, sondern ihre Gipfel sind noch mit schöner Waldung bekrönt. In Patti war kein Pferdestall zu finden; wir ritten also von einem Ort zum andern immer weiter am Ufer hin bis Mitternacht. Patti dankt, däucht mich, seinen Ursprung, oder wenigstens seinen Namen, einem dort geschlossenen Vergleiche in den punischen Kriegen. Den Ort meines Nachtlagers habe ich vergessen, aber die Art nicht. Die See war furchtbar stürmisch, und es hatte entsetzlich geregnet. Mit vieler Mühe konnten wir noch einige Fische und Eyer erhalten. Es hatten sich zwey Fremde zu mir gesellt, die auch von Messina kamen und ins Land ritten. Wein war genug da, aber kein Brot. Man gab mir aus Höflichkeit die beste Schlafstelle: diese war auf einem steinernen Absatze neben der Krippe; die andern Herren legten sich unten zu den Schweinen. Mein Mauleseltreiber trug zärtliche Sorge für mich und gab mir seine Kaputze: und man begriff überhaupt nicht, wie ich es habe wagen können ohne Kaputze zu reisen. Diese sonderbare Art von schwarzbraunem Mantel mit der spitzigen Kopfdecke ist in ganz Italien und vorzüglich in Sicilien eine Hauptmöbel. Ich hatte ganz Geschmack daran gewonnen; und wenn ich von dieser Nacht urtheilen soll, so habe ich Talent zum Kapuziner, denn ich schlief gut. Den ersten Tag machten wir funfzig Millien.

In Sankt Agatha, einem Kloster von einer sehr angenehmen Lage, wollten wir die zweyte Nacht bleiben; und dort scheint kein übles Wirthshaus zu seyn: aber es war noch zu früh und wir ritten mehrere Millien weiter bis Aque dolci, wo der schöne Name das beste war, wie vor Agrigent in Fontana fredda. Hier waren Leute, wie die sikanischen Urbewohner der Insel, gross und stark und rauh und furchtbar. Hier, glaube ich, war ich mit meiner Ketzerey wirklich in einer etwas unangenehmen Lage. Ein Stück von Geistlichen hatte Lunte gerochen und nahm mich sehr in Anspruch, und ich hielt ihn mir nur durch Latein vom Halse, vor dem er sich zu fürchten schien. Anderwärts war der Bekehrungseifer gutmüthig und wohlwollend sanft; hier hatte er etwas cyklopisches. Nicht weit von dem Ort ist oben in dem Felsen eine Höhle, in die man mich mit Gewalt führen wollte. Es war aber zu spät und ich hatte auch nicht recht Lust, mit solchen Physionomien allein in den Felsenhöhlen herum zu kriechen. Ich war hier nicht in Adlersberg. Ich musste hier für ein Bett sechs Karlin bezahlen, und als ich bemerkte, dass ich für Bett und Zimmer zusammen in Palermo nur drey bezahlte, sagte mir der Riese von Wirth ganz skoptisch: Freylich; aber dafür sind Sie auch eben jetzt nicht in Palermo und bekommen doch ein Bett. Der Grund war in Sicilien so unrecht nicht.

Wir hatten schon, wie mir mein Führer sagte, mit Gefahr einige Flüsse durchgesetzt. Nun kamen wir an einen, den sie Santa Maria nannten. Es musste oben fluthend geregnet haben; denn die Waldströme waren fürchterlich angeschwollen. Dieses macht oft den Weg gefährlich, da keine Brücken sind. Einer der Cyklopen, den man füglich für einen Polyphem hätte nehmen können, so riesenhaft war er selbst und so gross und zackig der wilde Stamm, den er als Stock führte, machte die Gefahr noch grösser. Die Gesellschaft hatte sich gesammelt; keiner wollte es wagen zu reiten. Meinem Führer war für sich, und noch mehr für seinen Maulesel bange. Es war nichts. Die Insulaner sind an grosse Flüsse nicht gewöhnt. Man machte viele Kreuze und betete Stossgebetchen an alle Heiligen, ehe man den Maulesel einen Fuss ins Wasser setzen liess; und dankte dann vorzüglich der heiligen Maria für die Errettung. An einem solchen Strome, wo ich allein war, wollte mein Führer, ein Knabe von funfzehn Jahren, durchaus umkehren und liegen bleiben, bis das Wasser von den Bergen abgelaufen wäre. Das hätte mich Piaster gekostet und stand mir nicht an. Ich erklärte ihm rein heraus, ich würde reiten, er möchte machen was er wollte. In der Angst für sein Thier und seine Seele schloss er sich auf der Kruppe fest an mich an, zitterte und betete; und ich leitete und schlug und spornte den Maulesel glücklich hinüber. Da haben uns die lieben Heiligen gerettet, sagte er, als er am andern Ufer wieder Luft schöpfte: und mein Stock und der Maulesel, sagte ich. Der Bursche kreuzigte sich drey Mal, fasste aber doch in Zukunft etwas mehr Muth zu dem meinigen. Sodann blieben wir in einem einzigen isolierten Hause vor einem Orte, dessen Namen ich auch wieder vergessen habe. Ich hätte sollen beständig einen Nomenklator bey mir haben. Das Donnerwetter hatte mich diesen und den vorigen Tag verfolgt; und es schneyte und graupelte bis über einen Fuss hoch. Die Waldströme waren wirklich sehr hinderlich und vielleicht zuweilen gar gefährlich für Leute, die nicht an das Element gewöhnt sind und nicht Muth haben. Einmal verdankte ich aber dem grossen Wasser eine schöne Scene. Der Fluss war, nach der Meinung meines Begleiters, unten durchaus nicht zu passieren, und er ritt mit mir an demselben hinauf, wo er eine Brücke wusste. Der Weg war zwar lang und ich ward etwas ungeduldig; aber ich kam in ein Thal, das einen so schönen grossen Orangenwald hielt, wie ich ihn auf der ganzen Insel noch nicht gesehen hatte. Des Menschen Leidenschaft ist nun einmal seine Leidenschaft. Für einige Kreutzer konnte mein Magen überall haben so viel er nur fassen konnte: aber meine Augen wollten auch zehren, und diese brauchten mehr zur Sättigung und liessen dann gern alles hängen und liegen.

Endlich kamen wir in Cefalu an. Für grosse Schiffe ist hier wohl kein Hafen zum Aufenthalt. Der Ort hat vermuthlich den Namen vom Berge, der einer der sonderbarsten ist. Wir hatten bisher die liparischen Inseln immer rechts gehabt; nun verschwanden sie nach und nach. Von Messina bis Cefalu ist es sehr wild; von hier an fängt die Kultur wieder an etwas besser zu werden. Es kommen nun viel Reissfelder. Bey Cefalu sah ich eine schöne, lange, hohe, blühende Rosenhecke, deren erste Knospen eben zahlreich aufbrachen. Ich hätte dem Pfleger die Hände küssen mögen; es waren die ersten, die ich in ganz Unteritalien und Sicilien sah. Die Leute sind schändliche Verräther an der schönen Natur.

In Termini erholte ich mich; hier findet man wieder etwas Menschlichkeit und Bequemlichkeit. Meine Wirthin war eine alte freundliche Frau, die alles mögliche that mich zufrieden zu stellen, welches bey mir sehr leicht ist. Sie examinierte mich theilnehmend über alles; nur nicht über meine Religion, ein seltener Fall in Sicilien; stellte mir vor was meine Mutter jetzt meinetwegen für Unruhe haben müsste, und rieth mir nach Hause zu eilen; sie hätte auch einen Sohn auf dem festen Lande, den sie zurück erwartete. Wenn ihre Theilnahme und Pflege auch sehr mütterlich war, so war indessen doch ihre Rechnung etwas stiefmütterlich.

Als ich in einer melancholisch ruhigen Stimmung über Vergangenheit und Gegenwart hing und mit meinem Mäoniden in der Hand auf den Himerafluss hinabschaute, ward unwillkührlich eine Elegie in meiner Seele lebendig. Es war mir, als ob ich die Göttin der Insel mit noch mehr Schmerz als über ihre geliebte Tochter am Anapus klagen hörte, und ich gebe Dir ohne weitere Bemerkung, was aus ihrer Seele in die meinige herüber hallte.

Trauer der Ceres.

Meine Wiege, Du liebliches Eyland, wie bist Du verödet,
Ach wie bist Du verödet, Du herrlicher Garten der Erde,
Wo die Götter bey Sterblichen einst den Olympus vergassen!
Zeus Kronion, Du Retter, rette Trinakriens Schöne,
Dass sie nicht endlich ganz mit der letzten Trümmer vergehe!
Glühend rinnt mir die Thräne, wie sie Unsterblichen rinnet,
Rinnt mir schmerzlich die Thräne vom Auge beym Jammer des Anblicks.
Wo, wo sind sie, die Kinder, die fröhlichen seligen Kinder
Meiner Liebe, die einst mit Tethrippen die Wege befuhren,
Wo jetzt kaum ein ärmlicher Bastard des Langohrs hinzieht?
Ach wo find' ich die Männer von Akragas, von Syrakusä,
Von Selinunt, die stolzen Söhne der stolzeren Väter?
Die mit Reichthum und Macht die hohe Karthago bedrohten,
Und die höhere Rom? Wo find' ich die Reihen der Jungfraun,
Die die heiligen Züge mir führten in bräutlichem Glanze,
Dass die Olympier selbst mit Neid und Schelsucht herabsahn?
Schaaren von Glücklichen drängten sich einst aus marmornen Thoren,
Durch die schattigen Haine der Götter, zu Traubengebirgen,
Durch die reichen Gefilde, die ich mit Garben bedeckte.
Eherne Krieger zogen zum Streit, dem Stolze des Fremdlings
Furcht und Verderben; es hallte von Felsen zu Felsen das Schlachtwort
Für die Sache der Freyheit und für des Vaterlands Sache.
Leben und Freude athmeten hoch vom Aetna zum Eryx,
Vom Simäthus, dem Heerdenernährer, zum fetten Anapus.
Zeus Kronion, wenn ich mit Stolz die Gesegneten sahe,
War ich die reichste Mutter und fühlte doppelt die Gottheit.
Ach wie bist Du gefallen, mein Liebling, wie bist Du gefallen,
Tief in Jammer und Armuth, Zerstörung und furchtbares Elend!
Deine Städte, mein Stolz, sie liegen in Trümmern am Meere,
Ihre Tempel verwüstet und ihre Odeen zerstöret,
Ihre Mauern verschüttet und ihre Wege verschwunden.
Im Gefühl des unendlichen Werths des Menschengeschlechtes
Schritten erhabene Söhne der götterbefreundeten Hellas
Mächtig durch die Gebirge, und schufen den Felsen zum Tanzsaal
Gegenüber des Aetna ewigem Feuerhaupte.
Jetzt durchwandelt die Thale der Jammer des bettelnden Volkes,
Einsam, scheu, mit Hunger im bleichen gesunkenen Antlitz,
Nur mit schmutzigen Lumpen die zitternde Blösse behangen.
Hymnen ertöneten einst den Göttern in glücklichen Chören
Durch die Städte der Insel; melodisch pflügte der Landmann,
Schnitt der Winzer und zog die Netze der freundliche Fischer.
Finster lauscht jetzt Misstraun tief in den Furchen der Stirne;
Stumm und einsam schleicht es daher, und tönet die Seele
Unwillkührlich einen Gesang, so klingt er wie Todesangst.
Gastlich empfingen den Fremdling einst Siciliens Küsten,
Und er wandelte froh, wie in den Fluren der Heimath.
Wildniss starret nunmehr dem kühnen Pilger entgegen,
Und mit der Miene der Mordlust ziehen die Räuber am Ufer.
Wie einst vor den unwirthlichen Zeiten der alten Cyklopen
Trägt das Land den Anblick der wildesten Höhlenbewohner;
Als besäss es noch nicht mein herrliches Aehrengebinde,
Nicht den friedlichen Oelbaum, nicht die erfreuliche Traube;
Ünd noch nicht der Hesperiden goldene Früchte.
Zeus Kronion, Du Retter, rette Trinakriens Schöne
Dass sie nicht endlich ganz mit der letzten Trümmer vergehe.

Von Termini aus kann der König wieder fahren. Indessen hätte der Minister, der den Weg gebaut hat, ihn mit weniger Kosten vermuthlich besser und dauerhafter machen können. Die Wasserableitung ist nicht sonderlich beachtet. In der Bagaria sah ich von aussen noch einige sublime Grotesken des sublim grotesken Fürsten von Palagonia, die nun nach seinem Tode nach und nach alle weggeschafft werden. Ich hatte weder Zeit noch Lust das innere Heiligthum der Ungeheuer zu sehen. Wenn indessen seine drollige Durchlaucht nur etwas zur Verschönerung der Gegend umher beygetragen hat, so will ich ihm die Misshandlung der Mythologie, der ich übrigens selbst nicht ausserordentlich hold bin, sehr gern verzeihen. Die ganze Gegend um die Stadt, vorzüglich nach Palermo zu, ist die bebauteste und ordentlichste, die man in Sicilien sehen kann, wenn es gleich keine der schönsten und reichsten ist.

Mir war es wirklich recht wohl, als ich wieder in die Nachbarschaft von Palermo kam, wo ich mich nun schon als etwas heimisch betrachtete. Mein Einzug in die Residenz war, als ob ich ihn noch bey dem hochseligen Fürsten von Palagonia bestellt hätte. Es holte uns eine Sänfte irgend eines Bischofs, vermuthlich des Bischofs von Cefalu, ein. Sie war überall mit Schellen behangen und wurde nach der Gewohnheit von zweyen der stärksten Maulesel getragen, die von einigen reitenden Bedienten geführt wurden. Die Sänfte war ziemlich geräumig und mochte bequem Platz haben für den Bischof und seine Nichte; denn ich habe es in Sicilien durchaus gemerkt, dass die vornehmen Geistlichen viel auf Nichten halten. Ein alter dicker satirischer Eseltreiber setzte sich gravitätisch hinein, fing an barock daraus zu diakonieren und mit grossen Grimassen den Segen zu spenden. Die Schellen klangen, er nickte und schnitt ein Bocksgesicht und die Karavane lachte über die Posse, bis die Nähe der Stadt der Profanation ein Ende machte. Nun zog die ganze originelle Kavalkade hinter mir mit Schellengeläute in Palermo zum Seethor ein. In Leipzig hätte ich damit ein Schauspiel für ein Quartier der Stadt machen können; in Palermo lachten bloss zwey Visitatoren.