Den zweyten Weihnachtsfeyertag kamen wir hier in Wien an, nachdem wir die Nacht vorher in Stockerau schon ächt wienerisch gegessen und geschlafen hatten. An der Barriere wurden wir durch eine Instanz angehalten und an die andere zur Visitation gewiesen. Ich armer Teufel wurde hier in bester Form für einen Hebräer angesehen, der wohl Juwelen oder Brabanter Spitzen einpaschen könnte. Ueber die Physiognomen! Aber man musste doch den casum in terminis gehabt haben. Mein ganzer Tornister wurde ausgepackt, meine weisse und schwarze Wäsche durchwühlt, mein Homer beguckt, mein Theokrit herumgeworfen und mein Virgil beschaut, ob nicht vielleicht etwas französischer Konterband darin stecke: meine Taschen wurden betastet und selbst meine Beinkleider fast bis an das heilige Bein durchsucht; alles sehr höflich. I must needs have the face of a smuggler. Meine Briefe wurden mir aus dem Taschenbuche genommen, und dazu musste ich einen goldnen Dukaten eventuelle Strafe niederlegen, weil ich gegen ein Gesetz gesündigt hatte, dessen Existenz ich gar nicht wusste und zu wissen gar nicht gehalten bin. »Du sollst kein versiegeltes Blättchen in deinem Taschenbuche tragen.« Der Henker kann so ein Gebot im Dekalogus suchen. Aus besonderer Güte, und da man doch am Ende wohl einsah, dass ich weder mit Brüssler Kanten handelte noch die Post betrügen wollte, erhielt ich die Briefe nach drey Tagen wieder zurück, ohne weitere Strafe, als dass man mir für den schönen vollwichtigen Dukaten, nach der Kaisertaxe von welcher kein Kaufmann in der Residenz mehr etwas weiss, neue blecherne Zwölfkreuzerstücke gab. Uebrigens ging alles freundlich und höflich her, an der Barriere, auf der Post, und auf der Polizey. Wider alles Vermuthen bekümmerte man sich um uns nun mit keiner Sylbe weiter, als dass man unsere Pässe dort behielt und sagte, bey der Abreise möchten wir sie wieder abholen. Sobald ich meine Empfehlungsbriefe von der Post wieder erhalten hatte, wandelte ich herum sie zu überliefern und meine Personalität vorzustellen. Die Herren waren alle sehr freundschaftlich, und honorierten die Zettelchen mit wahrer Theilnahme. Ich könnte Dir hier mehrere brave Männer unserer Nation nennen, denen ich nicht unwillkommen war, und die ich hier zum ersten Mahl sah; aber Du bist mit ihrem Werth und ihrer Humanität schon mehr bekannt als ich.

Gestern war ich bey Füger, und hatte eine schöne Stunde wahren Genusses. Der Mann hat mich mit seinen Gesinnungen und seiner Handelsweise sehr interessiert. Er hatte eben Geschäfte, und ich konnte daher seine offene Ungezwungenheit desto besser bemerken: denn er besorgte sie so leicht, als ob er allein gewesen wäre, ohne uns dabey zu vernachlässigen. Wer in den Zimmern eines solchen Mannes lange Weile hat, für den ist keine Rettung. Er hatte so eben seinen Achilles bey dem Leichnam des Patroklus vollendet, der auch nun gezeichnet und in Kupfer gestochen werden soll. Ich hatte die Stelle nur noch einige Tage vorher in meinem Homer gelesen; Du kannst also denken, mit welcher Begierde ich an dem Stücke hing. Es ist ein bezauberndes Bild. Der junge Held in Lebensgrösse bey dem Todten, der bis an die Brust neben ihm sichtbar ist, scheint sich so eben von seinem tiefesten Schmerz zu erholen und Rache zu beschliessen. Die Figur ist ganz nackt, und scheint mir ein Meisterstück der Färbung und Zeichnung; aber der Kopf ist göttlich. Du weisst, ich bin nicht Enthusiast; aber ich konnte mich kaum im Anschauen sättigen. Wenn meine Stimme etwas gelten könnte, würde ich mit der himlisch jugendlichen Schönheit des Gesichts nicht ganz zufrieden seyn. Der Held, der hier vorgestellt werden sollte, ist nicht mehr der Jüngling, den Ulysses unter den Töchtern Lykomeds hervorsuchte: es ist der Pelide, der schon gefochten und gezürnt hat, der schon das Schrecken der Trojaner war. Um dieses zu seyn, scheint mir der Kopf noch zu viel aus dem Gynäceum zu haben. Mich däucht, der Mann sollte schon etwas vollendeter seyn: die Periode ist selbst nur sehr kurze Zeit vor seinem eigenen Tode. Ich bescheide mich gern, und überlasse dieses den Eingeweihten der Kunst. Ein Sklave steht hinter ihm, auf dessen Gesichte man Erstaunen und Furcht liest.

Mehr als alles war mir wichtig sein Zimmer der Messiade. Hier hängt fast zu jedem Gesange eine Meisterzeichnung, an der sein Geist mit Liebe und Eifer gearbeitet hat. Er sagte mir, dass er vor Angst einige Wochen nicht zum Entschlusse habe kommen können, was er mit dem Gedicht anfangen solle, bis auf einmahl die ganze Reihe der Scenen sich ihm dargestellt habe. Es sind zwanzig, und nur von vieren hat Göschen die Kupfer zu seiner schönen Ausgabe erhalten. Es wäre werth, dass Göschen mit seinem gewöhnlichen Enthusiasmus für Wahrheit und Schönheit in der Kunst mit wackern Künstlern sich entschlösse, sie dem Publikum alle mitzutheilen: aber die Unternehmung würde keinen kleinen Aufwand erfordern, wenn Füger auf keine Weise leiden sollte. Figuren und Gruppen sind vortreflich, die apostolischen Gesichter bezaubernd, und Judas mit dem Satan grässlich charakteristisch, ohne Karikatur. Vorzüglich hat mich gerüht das Blatt, wo der Apostel nach dem Tode des geliebten Lehrers den Weibern die Dornenkrone bringt. Die Stelle ist ein Meisterwerk des Pathos im Gedicht; das hat der Künstler gefühlt und sein Gefühl mit voller Seele der Gruppe eingehaucht. Der Eifer des Kaifas ist ein Feuerstrom, und der Hauptmann der Römer gleicht Einem, der in seinem Schrecken es noch zeigt, dass er zu dem alten Kapitol gehört. Porcia ist ein göttliches Weib. Am wenigstens hat mich das erste und letzte Blatt befriedigen wollen, weil ich mich mit der Personificierung der Gottheit nicht vertragen kann. Man nehme das Ideal noch so hoch, es kommt immer nur ein Jupiter Olympius: und diesen will ich nicht haben; er ist mir nicht genug. Christus ist das erhabenste Ideal der christlichen Kunst. Er ist selbst nach der orthodoxesten Lehre noch unser Bruder. Bis zu ihm kann sich unsere Sinnlichkeit erheben, aber weiter nicht. Unsere Apostel und Heiligen sind die Götter und Heroen des alten Mythus. Bis zu Platos einzig wirklichem Wesen hat sich auch kein griechischer Künstler empor gewagt. Der olympische Jupiter ist der homerische. Ich wünschte Klopstock und Wieland nur eine Stunde hier in diesem Zimmer: sie würden Lohn für ihre Arbeit finden, und Füger für die seinige.

Ich muss Dir noch über zwey Stücke von Füger etwas sagen, die ich in den Zimmern des Grafen Fries antraf und die Du vielleicht noch nicht kennst. Der Graf erinnerte sich meiner mit Güte von der Akademie her, und seine Freundlichkeit und Gefälligkeit gegen Fremde, so wie sein Enthusiasmus für Kunst und Wissenschaft, in denen er seinen besten Genuss hat, sind allgemein bekannt. Die beyden Gemälde sind ziemlich neu; denn das erste ist nur zwey Jahre alt und das zweyte noch jünger. Das erste ist Brutus der Alte, wie er seine Söhne verdammt; und der Moment ist das furchtbare: Expedi secures! Man muss das Ganze mit Einem Blicke umfassen können, um die Grösse der Wirkung zu haben, die der Künstler hervorgebracht hat. Jede Beschreibung, die aus einander setzt, schwächt. Das Stück ist reich an Figuren; aber es ist keine müssig: sie gehören alle zur Katastrophe, oder nehmen Antheil daran. Alles ist richtiger eigenthümlicher Charakter, vom Konsul bis zum Liktor. Alles ist ächt römisch, und schön und gross. Ich darf nicht wagen zu beschreiben; es muss gesehen werden. Vorzüglich rührend für mich war eine sehr glückliche Episode, die, so viel ich mich erinnere, der alte Geschichtschreiber nicht hat: oder wenn er sie hat, wirkt sie hier im Bilde mächtiger als bey ihm in der Erzählung. Ein ziemlich alter Mann steht mit seinen zwey Knaben in der Entfernung und deutet mit dem ganzen Ausdruck eines flammenden Patriotismus auf den Richter und das Gericht hin, als ob er sagen wollte: Bey den Göttern, so müsste ich gegen euch seyn, wenn ihr würdet wie diese! Vater und Söhne sind für mich unbeschreiblich schön.

Das zweyte Stück ist Virginius, der so eben seine Tochter geopfert hat, das Messer dem Volke und dem Decemvir zeigt, und als ein furchtbarer Prophet der künftigen Momente nur einen Augenblick da steht. Dieser Augenblick war einzig für den Geist des Künstlers. Die beyden Hauptfiguren, Virginius und Appius Klaudius sind in ihrer Art vortreflich: aber unbeschreiblich schön, rührend und von den Grazien selbst hingehaucht ist die Gruppe der Weiber, die das sterbende Mädchen halten. Diese bekümmern sich nicht mehr um den Vater, nicht um den tyrannischen Richter, nicht um das Volk, um nichts was um sie her geschieht; sie sind ganz allein mit dem geliebten Leichnam beschäftiget. Eine so reitzende Verschlingung schwebte selten der Seele eines Dichters vor: nimm nun noch die Vollendung und Zartheit der Figuren und das Pathos des Augenblicks dazu. Es ist eine der schönsten Kompostionen aus der Seele eines Künslers, den der Genius der hohen und schönen Humanität belebte. Ich würde nieder knien und anbeten, wenn ich die Römer nicht besser kennte. Du weisst aber schon hierüber meine etwas ketzerische Denkungsart. Als Philantrop betrachtet möchte ich lieber in Russland leben, an der Kette der dortigen Knechtschaft, als unter dem Palladium der römischen Freyheit. Beschuldige mich nicht zu schnell eines Paradoxons. Wehe den neuen Galliern, wenn sie die altrömische Freyheit ihrer Nation oder gar ihren Nachbarn aufdringen oder, wie Klopstock spricht, aufjochen wollen! Aber wo gerathe ich hin?

Fügers neuestes Werk, an dem er jetzt, wie ich höre, für den Herzog Albert von Sachsen-Teschen, arbeitet, ist ein Jupiter, der dem Phidias erscheint, um ihn zu seinem Bilde vom Olympus zu begeistern. Da es in die Höhe kommen soll, ist die Anlage etwas kolossalisch. Der Gedanke ist kühn, sehr kühn: aber Füger ist vielleicht gemacht solche Gedanken auszuführen. Mit einer liebenswürdigen Offenheit gesteht der grosse Künstler, dass er einige seiner herrlichsten Kompositionen aus Vater Wielands Aristipp genommen hat. Nun wünschte ich auch David einige Stunden so nahe zu seyn, wie ich es Füger war; und ich hoffe es soll mir gelingen.

Während der vierzehn Tage, die ich hier hausete, war nur einige Mahl ein Stündchen reines helles Wetter, aber nie einen ganzen Tag; und die Wiener klagen, dass dieses fast beständig so ist. Da ging ich denn so finster zuweilen allein für mich auf dem Walle und etymologisierte eins. Vindobana, quia dat vinum bonum; Danubius, qui dat nubes; und dergleichen mehr: wer weiss, ob die Römer bey ihrer Nomenklatur nicht so gedacht haben. Wenn Füger, Retzer, Ratschky, Miller und einige andere nicht gewesen wären, die mir zuweilen ein Viertelstündchen schenkten, ich hätte den dritten Tag vor Angst meinen Tornister wieder packen müssen.

Von dem Wiener Theaterwesen kann ich Dir nicht viel Erbauliches sagen. Die Gesellschaft des Nationaltheaters ist abwechselnd in der Burg und am Kärnthner Thore, und spielt so gut sie kann. Das männliche Personale ist nicht so arm als das weibliche; aber Brockmann steht doch so isoliert dort und ragt über die andern so sehr empor, dass er durch seine Ueberlegenheit die Harmonie merklich stört. Die andern, unter denen zwar einige gute sind, können ihm nicht nacharbeiten, und so geht er oft zu ihnen zurück; zumahl da auch seine schöne Periode nun vorbey ist. Man gab eben das Trauerspiel Regulus. Ich gestehe Dir, dass es mir ungewöhnlich viel Vergnügen gemacht hat; vielleicht schon desswegen, weil es einen meiner Lieblingsgegenstände aus der Geschichte behandelte. Ich halte das Stück für recht gut gearbeitet, so viel ich aus einer einzigen Vorstellung urtheilen kann, wo ich mich aber unwillkührlich mehr zum Genuss hingab, als vielleicht zur Kritik nöthig war. Es sind allerdings mehrere kleine Verzeichnungen in den Charaktern; aber das Ganze hat doch durchaus einen sehr festen, ernsthaften, nicht unrömischen Gang: die Sprache ist meistens rein und edel, und ich war zufrieden. Zum Meisterwerke fehlt ihm freylich noch manches; aber Apollo gebe uns nur mehrere solche Stücke, so haben wir Hoffnung auch jene zu erhalten. Es wird mir noch lange einen grossen Genuss gewähren, Brockmann in der Rolle des Regulus gesehen zu haben. Der weibliche Theil der Gesellschaft, der auf den meisten Theatern etwas arm zu seyn pflegt, ist es hier vorzüglich; und man ist genöthigt die Rolle der ersten Liebhaberin einer Person zu geben, die mit aller Ehre Aebtissin in Quedlinburg oder Gandersheim werden könnte. Die Dame ist gut, auch gute Schauspielerin; aber nicht für dieses Fach.

Die Italiäner sind verhältnissmässig nicht besser. Man trillert sehr viel, und singt sehr wenig. Der Kastrat Marchesi kombabusiert einen Helden so unbarmherzig in seine eigene verstümmelte Natur hinein, dass es für die Ohren des Mannes ein Jammer ist; und ich begreife nicht, wie man mit solcher Unmenschlichkeit so traurige Missgriffe in die Aesthetik hat thun können. Das mögen die Italiäner, wie vielen andern Unsinn, bey der gesunden Vernunft verantworten, wenn sie können.

Ich, meines Theils, will keine Helden,
Die uns, entmannt und kaum noch mädchenhaft,
Sogleich den Mangel ihrer Kraft
Im ersten Tone quiekend melden,
Und ihre lächerliche Wuth
Im Schwindel durch die Fistelhöhen
Von ihrem Brett herunter krähen,
Wie Meister Hahns gekappte Brut.
Wenn ich des Hämmlings Singsang nicht
Wie die Taranteltänze hasse,
So setze mich des Himmels Strafgericht
Mit ihm in Eine Klasse.

Schikaneder treibt sein Wesen in der Vorstadt an der Wien, wo er sich ein gar stattliches Haus gebaut hat, dessen Einrichtung mancher Schauspieldirektor mit Nutzen besuchen könnte und sollte. Der Mann kennt sein Publikum und weiss ihm zu geben was ihm schmeckt. Sein grosser Vorzug ist Lokalität, deren er sich oft mit einer Freymüthigkeit bedient, die ihm selbst und der Wiener Duldsamkeit noch Ehre macht. Ich habe auf seinem Theater über die Nationalnarrheiten der Wiener Reichen und Höflinge Dinge gehört, die man in Dresden nicht dürfte laut werden lassen, ohne sich von höherem Orte eine strenge Weisung über Vermessenheit zuzuziehen. Mehrere seiner Stücke scheint er im eigentlichsten Sinne nur für sich selbst gemacht zu haben; und ich muss bekennen, dass mir seine barocke Personalität als Tyroler Wastel ungemeines Vergnügen gemacht hat. Es ist den Wienern von feinem Ton und Geschmack gar nicht übel zu nehmen, dass sie zuweilen zu ihm und Kasperle herausfahren und das Nationaltheater und die Italiäner leer lassen. Seine Leute singen für die Vorstadt verhältnissmässig weit besser, als jene für die Burg. Die Kleidung ist an der Wien meistens ordentlicher und geschmackvoller, als die verunglückte Pracht dort am Hofe, wo die Stiefletten des Heldengefolges noch manchmahl einen sehr ärmlichen Aufzug machen. So lange Schikaneder Possen, Schnurren und seine eigenen tollen Operetten giebt, wo der Wiener Dialekt und der Ton des Orts nicht angenehm mit wirkt, kann er auch Leute von gebildetem Geschmack einige Mahl vergnügen; aber wenn er sich an ernsthafte Stücke wagt, die höheres Studium und durchaus einen höheren Grad von Bildung erfodern, muss der Versuch allerdings immer sehr schlecht ausfallen. Aber hier wird er vielleicht sagen, ich arbeite für mein Haus: dawider ist denn nichts einzuwenden; nur möchte ich dann nicht zu seinem Hause gehören. Er will aber höchst wahrscheinlich für nichts weiter gelten, als für das Mittel zwischen Kasperle und der Vollendung der mimischen Kunst im Nationaltheater. Die Herren Kasperle und Schikaneder mögen ihre subordinirten Zwecke so ziemlich erreicht haben; aber das Nationaltheater ist, so wie ich es sah, noch weit entfernt, dem ersten Ort unsers Vaterlandes und der Residenz eines grossen Monarchen durch seinen Gehalt Ehre zu machen.

Den Herrn Kasperle aus der Leopoldstadt hat, wie ich höre, der Kaiser zum Baron gemacht; und mich däucht, der Herr hat seine Würde so gut verdient, als die meisten, die dazu erhoben werden. Er soll überdiess das wesentliche Verdienst besitzen, ein sehr guter Haushalter zu seyn.

Ueber die öffentlichen Angelegenheiten wird in Wien fast nichts geäussert, und Du kannst vielleicht Monate lang auf öffentliche Häuser gehen, ehe Du ein einziges Propos hörst, das auf Politik Bezug hätte; so sehr hält man mit alter Strenge eben so wohl auf Orthodoxie im Staate wie in der Kirche. Es ist überall eine so andächtige Stille auf den Kaffehäusern, als ob das Hochamt gehalten würde, wo jeder kaum zu athmen wagt. Da ich gewohnt bin, zwar nicht laut zu enragieren, aber doch gemächlich unbefangen für mich hin zu sprechen, erhielt ich einige Mahl eine freundliche Weisung von Bekannten, die mich vor den Unsichtbaren warnten. In wie fern sie Recht hatten, weiss ich nicht; aber so viel behaupte ich, dass die Herren sehr Unrecht haben, welche die Unsichtbaren brauchen. Einmahl spielte meine unbefangene Sorglosigkeit fast einen Streich. Du weisst, dass ich durchaus kein Revolutionär bin; weil man dadurch meistens das Schlechte nur Schlimmer macht; ich habe aber die Gewohnheit die Wirkung dessen was ich für gut halte zuweilen etwas lauter werden zu lassen, als vielleicht gut ist. So hat mir der Marseiller Marsch als ein gutes musikalisches Stück gefallen, und es begegnet mir wohl, dass ich, ohne eben irgend etwas zu denken, eben so wie aus irgend einem andern Musikstücke, einige Takte unwillkührlich durch die Zähne brumme. Diess geschah einmahl, freylich sehr am unrechten Orte, in Wien, und wirkte natürlich wie ein Dämpfer auf die Anwesenden. Mir war mehr bange für die guten Leute als für mich: denn ich hatte weiter keinen Gedanken, als dass mir die Musik der Takte gefiel, und selbst diesen jetzt nur sehr dunkel.

Ich erinnere mich eines drolligen, halb ernsthaften, halb komischen Auftritts in einem Wirthshause, der auf die übergrosse Aengstlichkeit in der Residenz Bezug hatte. Ein alter ehrlicher, eben nicht sehr politischer Oberstlieutenant hatte während des Krieges bey der Armee in Italien gestanden und sich dort gewöhnt, recht jovialisch lustig zu seyn. Seine Geschäfte hatten ihn in die Residenz gerufen, und er fand da an öffentlichen Orten überall eine Klosterstille. Das war ihm sehr missbehaglich. Einige Tage hielt er es aus, dann brach er bey einem Glase Wein ächt soldatisch laut hervor und sagte mit ganz drolliger Unbefangenheit: »Was, zum Teufel, ist denn das hier für ein verdammt frommes Wesen in Wien? Kann man denn hier nicht sprechen? Oder ist die ganze Residenz eine grosse Karthause? Man kommt ja hier in Gefahr das Reden zu verlernen. Oder darf man hier nicht reden? Ich habe so etwas gehört, dass man überall lauern lässt: ist das wahr? Hole der Henker die Mummerey! Ich kann das nicht aushalten; und ich will laut reden und lustig seyn.« Du hättest die Gesichter der Gesellschaft bey dieser Ouvertüre sehen sollen. Einige waren ernst, die andern erschrocken; andere lächelten, andere nickten gefällig und bedeutend über den Spass: aber niemand schloss sich an den alten Haudegen an. Ich werde machen, sagte dieser, dass ich wieder zur Armee komme; Das todte Wesen gefällt mir nicht.

Als die Franzosen bis in die Nähe von Wien vorgedrungen waren, soll sich, die Magnaten und ihre Kreaturen etwa ausgenommen, niemand vor dem Feinde gefürchtet haben: aber desto grösser war die allgemeine Besorgniss vor den Unordnungen der zurückgeworfenen Armee. Damahls fing Bonaparte eben an, etwas bestimmter auf seine individuellen Aussichten loszuarbeiten, und hat dadurch zufälliger Weise den Oestreichern grosse Angst und grosse Verwirrungen erspart.

Doktor Gall hat eben einen Kabinetsbefehl erhalten, sich es nicht mehr beygehen zu lassen, den Leuten gleich am Schedel anzusehen, was sie darin haben. Die Ursache soll seyn, weil diese Wissenschaft auf Materialismus führe.

Man sieht auch hier in der Residenz nichts als Papier und schlechtes Geld. Die Manege mit schlechtem Gelde ist bekannt; man führt daran, so lange es geht. Das Kassenpapier ist noch das unschuldigste Mittel die Armuth zu decken, so lange der Kredit hält. Aber nach meiner Meinung ist für den Staat nichts verderblicher und in dem Staat nichts ungerechter als eigentliche Staatspapiere, so wie unsere Staaten eingerichtet sind. Eingerechnet unsere Privilegien und Immunitäten, die freylich eine Sottise des öffentlichen Rechts sind, zahlen die Aermeren fast durchaus fünf Sechstheile der Staatsbedürfnisse. Die Inhaber der Staatspapiere, sie mögen Namen haben wie sie wollen, gehören meistens zu den Reichen, oder wohl gar zu den Privilegiaten. Die Interessen werden wieder aus den Staatseinkünften bezahlt, die meistens von den Aermeren bestritten werden. Ein beliebter Schriftsteller wollte vor kurzem die Wohlthätigkeit der Staatsschulden in Sachsen dadurch beweisen, weil man durch dieses Mittel sehr gut seine Gelder unterbringen könne. Nach diesem Schlusse sind die Krankheiten ein grosses Gut für die Menschheit, weil sich Aerzte, Chirurgen und Apotheker davon nähren. Ein eigener Ideengang, den freylich Leute nehmen können, die ohne Gemeinsinn gern viel Geld sicher unterbringen wollen. Das Resultat ist aber ohne vieles Nachdenken, dass durch die Staatsschulden die Aermern gezwungen sind, ausser der alten Last, noch den Reichen Interessen zu bezahlen, sie mögen wollen oder nicht. »Bey Steuerkataster, auf allgemeine Gerechtigkeit gegründet, wäre es anders. Aber jetzt haben die Reichen die Steuerscheine und die Armen zahlen die Steuern. Man kann diese Logik nur bey einem Kasten voll Steuerobligationen bündig finden. Wo hätte der Staat die Verbindlichkeit den Reichen auf Kosten der Armen ihre Kapitale zu verzinsen? Und das ist doch das Facit jeder Staatsschuld. Jede Staatsschuld ist eine Krücke, und Krücken sind nur für Lahme. Die Sache ist zu wichtig, sie hier weiter zu erörtern. Ich weise Dich vorzüglich auf Humes Buch als das beste, was mir über diesen Gegenstand bekannt ist.

Sonderbar war es, dass man in dem letzten Jahre des Krieges bey der höchsten Krise Wien zum Waffenplatz machen wollte; das Schlimmste, was die Regierung für ihre Sache thun konnte. Wenn damahls die Franzosen den Frieden nicht eben so nöthig hatten wie die Deutschen, oder wenn Bonaparte andere Absichten hatte, als er nachher zeigte, so war das Unglück für die Oestreichischen Staaten entsetzlich. Was konnte man von den Vorspiegelungen erwarten? Es war bekannt, Wien hätte sich nicht acht Tage halten können; und welche Folgen hätte es gehabt, wenn es auf dem Wege der Gewalt in die Hände der Feinde gekommen wäre? Die Wiener waren zwar sicher, dass es nicht dahin kommen würde; aber eben desswegen waren die Vorkehrungen ziemlich verkehrt. Man hätte gleich mit Entschlossenheit der Maxime des Ministers folgen können, dessen übrige Verfahrungsart ich aber nicht vertheidigen möchte. Hier hatte er ganz Recht, wenn nur sonst die Kräfte gewogen wären: Die Residenz ist nicht die Monarchie; und es ist manchem Staate nichts weniger als wohlthätig, dass die Kapitale so viel Einfluss auf das Ganze hat.

Für Kunstsachen und gelehrtes Wesen habe ich, wie Dir bekannt ist, nur selten eine glückliche Stimmung; ich will Dir also, zumahl da das Feld hier zu gross ist, darüber nichts weiter sagen: Du magst Dir von Schnorr erzählen lassen, der vermuthlich eher zurück kommt als ich.

Ich darf rühmen, dass ich in Wien überall mit einer Bonhommie und Gefälligkeit behandelt worden bin, die man vielleicht in Residenzen nicht so gewöhnlich findet. Selbst die schnakische Visitation an der Barriere wurde, was die Art betrifft, mit Höflichkeit gemacht. Den einzigen böotischen, aber auch ächt böotischen, Auftritt hatte ich den letzten Tag auf der italiänischen Kanzley. Hierher wurde ich mit meinem Passe von der Polizey um einen neuen gewiesen. Im Vorzimmer war man artig genug und meldete mich, da ich Eile zeigte, sogleich dem Präsidenten, der eine Art von Minister ist, den ich weiter nicht kenne. Er hatte meinen Pass von Dresden schon vor sich in der Hand, als ich eintrat.

»Währ üfs Aehr?« fragte er mich mit einem stier glotzenden Molochsgesicht in dem dicksten Wiener Bratwurstdialekt. Ich ehre das Idiom jeder Provinz, so lange es das Organ der Humanität ist; und die braven Wiener mit ihrer Gutmüthigkeit haben mir nur selten das Gefühl rege gemacht, dass ihre Aussprache etwas besser seyn sollte. Ich that ein kurzes Stossgebetchen an die heilige Humanität, dass sie mir hier etwas Geduld gäbe, und sagte meinen Namen, indem ich auf den Pass zeigte.

»Wu will Aehr hünn?«

Steht im Passe: nach Italien.

»Italien üss gruhss.«

Vor der Hand nach Venedig, und sodann weiter.

»Slähftr holtr sähr füehl sulch lüederlüchches Gesüendel härümmer.«

Nun, Freund, was war hier zu thun? Dem Menschen zu antworten, wie er es verdiente? Er hätte leicht Mittel und Wege gefunden mich wenigstens acht Tage aufzuhalten, wenn er mich nicht gar zurück geschickt hätte: denn er war ja ein Stück von Minister. Ich suchte eine alte militärische Aufwallung mit Gewalt zu unterdrücken. Der Graf Metternich in Dresden muss wohl wissen, was er thut und wem er seine Pässe giebt: er ist verantwortlich dafür! sagte ich so bestimmt als mir der Ton folgte. Der Mensch belugte mich von dem verschnittenen Haarschedel den polnischen Rock herab bis auf die Schariwari, die um ein Paar derbe rindslederne Stiefeln geknöpft waren.

»Wu wüll Aehr weiter hünn?«

Vorzüglich nach Sicilien.

Er glotzte von neuem, und fragte:

»Wafs wüll Aehr da machchen?«

Hätte ich ihm nun die reine platte Wahrheit gesagt, dass ich bloss spazieren gehen wollte, um mir das Zwerchfell aus einander zu wandeln, das ich mir über dem Druck von Klopstocks Oden etwas zusammen gesessen hatte, so hätte der Mann höchst wahrscheinlich gar keinen Begriff davon gehabt und geglaubt, ich sey irgend einem Bedlam entlaufen.

Ich will den Theokrit dort studieren; sagte ich.

Weiss der Himmel was er denken mochte; er sah mich an und sah auf den Pass und sah mich wieder an, und schrieb sodann etwas auf den Pass, welches, wie ich nachher sah, der Befehl zur Ausfertigung eines andern war.

»Abber Aehr dörf süchch nücht ünn Venedig uffhalten.«

Ich bin es nicht Willens, antwortete ich mit dem ganzen Murrsinn der düstern Laune, und bekomme hier auch nicht Lust dazu. Er beglotzte mich noch einmahl, gab mir den Pass, und ich ging.

Man hat mir den Namen des Mannes genannt und gesagt, dass dieses durchaus sein Charakter sey, und dass er bey dem Kaiser in gar grossem Vertrauen und hoch in Gnaden stehe. Desto schlimmer für den Kaiser und für ihn und die Wiener und alle, die mit ihm zu thun haben. Sein Gesicht hatte das Gepräge seiner Seele, das konnte ich beym ersten Anblick sehen, ohne jemahls eine Stunde bey Gall gehört zu haben. Seinen Namen habe ich geflissentlich vergessen, erinnere mich aber noch so viel, dass er, nicht zur Ehre unserer Nation, ein Deutscher, obgleich Präsident der italiänischen Kanzley war. Ist das der Vorschmack von Italien? dachte ich; das fängt erbaulich an.

Von hier ging ich mit dem Passe hinüber in die Kanzleystube, wo ausgefertigt wurde; und hier war der Revers des Stücks, ein ganz anderer Ton. Ich wurde so viel Euer Gnohden gescholten, dass meine Bescheidenheit weder ein noch aus wusste, und erhielt sogleich einen grossen Realbogen voll Latein in ziemlich gutem Stil, worin ich allen Ober- und Unteroffizianten des Kaisers im Namen des Kaisers gar nachdrücklich empfohlen wurde. Wenn es nur der Präsident etwas höflicher gemacht hätte; es hätte mit der nehmlichen oder weit weniger Mühe für ihn und mich angenehmer werden können. Auf dem neuen Passe stand gratis und man foderte mir zwey Gulden ab, die ich auch, trotz der sonderbaren Hermenevtik des Wörtchens, sehr gern sogleich zahlte und froh war, dass ich dem Uebermass der Grobheit und Höflichkeit zugleich entging.