Caput XV.


Ein feiner Regen prickelt herab,
Eiskalt, wie Nähnadelspitzen.
Die Pferde bewegen traurig den Schwanz,
Sie waten im Koth und schwitzen.

Der Postillon stößt in sein Horn,
Ich kenne das alte Getute —
„Es reiten drey Reiter zum Thor hinaus!“ —
Es wird mir so dämmrig zu Muthe.

Mich schläferte und ich entschlief,
Und siehe! mir träumte am Ende,
Daß ich mich in dem Wunderberg
Beim Kaiser Rothbart befände.

Er saß nicht mehr auf steinernem Stuhl,
Am steinernen Tisch, wie ein Steinbild;
Auch sah er nicht so ehrwürdig aus,
Wie man sich gewöhnlich einbild't.

Er watschelte durch die Sääle herum
Mit mir im trauten Geschwätze.
Er zeigte wie ein Antiquar
Mir seine Curiosa und Schätze.

Im Saale der Waffen erklärte er mir
Wie man sich der Kolben bediene,
Von einigen Schwertern rieb er den Rost
Mit seinem Hermeline.

Er nahm einen Pfauenwedel zur Hand,
Und reinigte vom Staube
Gar manchen Harnisch, gar manchen Helm,
Auch manche Pickelhaube.

Die Fahne stäubte er gleichfalls ab,
Und er sprach: „mein größter Stolz ist,
Daß noch keine Motte die Seide zerfraß,
Und auch kein Wurm im Holz ist.“

Und als wir kamen in den Saal,
Wo schlafend am Boden liegen
Viel tausend Krieger, kampfbereit,
Der Alte sprach mit Vergnügen:

„Hier müssen wir leiser reden und gehn,
Damit wir nicht wecken die Leute;
Wieder verflossen sind hundert Jahr
Und Löhnungstag ist heute.“

Und siehe! der Kaiser nahte sich sacht
Den schlafenden Soldaten,
Und steckte heimlich in die Tasch'
Jedwedem einen Dukaten.

Er sprach mit schmunzelndem Gesicht,
Als ich ihn ansah verwundert:
„Ich zahle einen Dukaten per Mann,
Als Sold, nach jedem Jahrhundert.“

Im Saale wo die Pferde stehn
In langen, schweigenden Reihen,
Da rieb der Kaiser sich die Händ',
Schien sonderbar sich zu freuen.

Er zählte die Gäule, Stück vor Stück,
Und klätschelte ihnen die Rippen;
Er zählte und zählte, mit ängstlicher Hast
Bewegten sich seine Lippen.

„Das ist noch nicht die rechte Zahl“ —
Sprach er zuletzt verdrossen —
„Soldaten und Waffen hab' ich genung,
Doch fehlt es noch an Rossen.

„Roßkämme hab' ich ausgeschickt
In alle Welt, die kaufen
Für mich die besten Pferde ein,
Hab' schon einen guten Haufen.

„Ich warte bis die Zahl komplet,
Dann schlag' ich los und befreye
Mein Vaterland, mein deutsches Volk,
Das meiner harret mit Treue.“

So sprach der Kaiser, ich aber rief:
Schlag' los, du alter Geselle,
Schlag' los, und hast du nicht Pferde genug,
Nimm Esel an ihrer Stelle.

Der Rothbart erwiederte lächelnd: „Es hat
Mit dem Schlagen gar keine Eile,
Man baute nicht Rom in einem Tag,
Gut Ding will haben Weile.

„Wer heute nicht kommt, kommt morgen gewiß,
Nur langsam wächst die Eiche,
Und chi va piano va sano, so heißt
Das Sprüchwort im römischen Reiche.“