VORBILD

UEBER die Bewohner von Morbihan, eines kleinen und momentan noch sehr jungen Sternes, erzählen die großen Weltfahrer der Vergangenheit seltsame Dinge.

Früher erblickten die Sklaven des Palalu von Ohobdiro niemals die Sonne. Dann aber kam Jesus der Zweite, Schmernerenx, den ihre Jambenkönige in vielen heiligen Liedern als Erlöser namhaft machen. Infolge seines ergreifenden Gesanges wurden die den Bergwerken Verfallenen immer beim Erscheinen eines Schweifsterns, mit den trefflichsten Ketten gefesselt, an die Oberwelt geführt und mit einer Ration Tageslicht gelabt. Die Herren gewährten dies, auf daß die Arbeiter nicht das Gesicht verlören wie gewisse Fische in den Tiefen, erfrischende Strahlen in sich schlürften für die Jahre der Nacht. Damit sie jedoch ihre Sprechwerkzeuge dabei nicht zu herzzerreißenden Klagen mißbrauchten, wurde ihnen vorher die Zunge schmerzlos entfernt. Kam nun der Komet seines Weges, so riefen alle Freien »Heil«, entblößten das Haupt zum Zeichen ihrer Verehrung für den seltenen Gast, und sprachen fromm die anläßlich des Aufblitzens eines Haarsterns vorgeschriebenen Gebete. Einen Augenblick auch wurden die fahlen Gesichter der stummen Sklaven der schmerzenden Helle überlassen, sodann jeder wieder seinem Schachte zugetrieben und in Arbeit umgesetzt.

Ein einziger Heiland kann ja auch gar nicht die Kraft haben, die moralische Zusammensetzung der Geschöpfe dauernd zu wandeln, er vermag auf diese chemischen Elemente höchstens färbend, kalmierend einzuwirken. Anhaltenden Erfolg dürfte aber erst die lange Reihe, das Ineinandergreifen von zwanzigtausend erstklassigen Erlösern erzielen.

Den letzten Berichten nach scheinen mittlerweile wieder einige in Messiasse verwunschene Söhne des Sonnenfürsten zu längerem Aufenthalt auf Morbihan eingetroffen zu sein. Ein gewisser Fortschritt, vielleicht dem Entwicklungsdogma entsprechend, läßt sich jedenfalls nicht ableugnen: den Knechten der Bergwerke wurde zu Zuchtzwecken Oberweltsurlaub bewilligt. Diese Neuerung verdankten sie einer Reform der theologisch-wissenschaftlichen Anschauungen. Man sah in der herrlichen Annäherung eines Kometen an einen Wandelstern Werbung. Wer auf eine Staatsanstellung Anspruch erhob, mußte in dem stets entfalteten Pfauenrad und Feuerschweif des Irrlichtes — dieses wie bei zahlreichen anderen Kreaturen bedeutend kleineren Männchens — einen Balzakt, eine Exhibition erblicken. Jeden Gedanken an prahlerische Mimikry außer acht lassend, glaubte man, alle diese Scheingestirne seien Zuchtsterne, Befruchtungssterne, von irgendeiner Macht an einem der himmlischen Harems, an den Planetenweibchen eines Sonnendistriktes entlang geschleudert.

Nun untersagte aber ein Religionsparagraph den Leuten von Morbihan, die Begattungskrämpfe ihrer Eltern zu betrachten. Also verboten die Großpriester ihren Anhängern einen unzüchtigen Anblick: die Beobachtung des Liebesspiels ihres Muttersternes mit dem Kometen.

Da es für ein böses Omen galt, der Geburt eines Mondes beizuwohnen, ferner den unschuldigen Spermatozoën des feuerverzehrten Amanten schädliche Eigenschaften angesonnen wurden, und zwar: den Gasen und Dämpfen eine den Atemorganen unbekömmliche, dem befruchtenden Magma, wenn es an der Oberfläche des Sternes zu Meteoriten gefroren war, sogar eine zermalmende Wirkung — erklärten sich die Machthaber bereit, die Arbeitstiere als Bazillenfänger zu verwenden, sie zwischen sich und die giftigen Ejakulationen zu schieben. Die Kometen ihrerseits hielten sich ja stets vorsichtshalber, um nicht von der Geliebten verspeist zu werden, in respektvoller Distanz. War aber einer am Himmel zu erspähen, mußte er notgedrungen, gesetzlich-galant der Morbihan den Hof machen — nach den ebenso ehernen als lächerlichen Geschlechtsregeln des Sonnendistriktes R. Nahte endlich der schöne »Telecoitus«, so bedeckten die Gewaltigen ihre Augen, stiegen, diesmal frommverhüllten Hauptes, tief in die nun schützenden Berge hinab. Aufwärts die Helotenmaschinen.

In jenen Tagen der Angst verrichteten die Oligarchen unten in halb erheuchelter Demut das niedrige Handwerk der Leibeigenen. Der jähe Umsturz, der plötzliche Übergang von der Verehrung des Kometen zur Flucht vor dem Untier, dürfte allerdings schwerlich ohne blutige Religionskriege vor sich gegangen sein. War jedoch dieser Evolution wider alle Berechnung ein friedlicher Verlauf beschieden, so leitete die Regierenden dann wohl die Erwägung, eventuell, statt selbst sterben zu müssen, bloß die Hörigen fallen zu sehen. Außerdem die chimärische Hoffnung eines Gegenteils, dem Gutachten eines weisen Schäfers entnommen. Er sprach: »Melancholie und Verstimmung — unverbrauchte Überkraft. Jedes unbefruchtete Ei weint in dem Weib, jeder verhaltene Samen weint in dem Mann. Liebe ist entweder eine Autointoxikation durch überschüssiges Sperma oder eine Vergiftung durch die Sekrete und Gase, durch die Strahlen und Düfte anderer. Gleichwie nun die der Zeugung Beflissenen Eier und Samen der getöteten Tiere: unterworfener Stämme als zweckdienlichstes Futter verspeisen, könnten die erotischen Ausstrahlungen des wackeren Kometen eine vermehrte Geschlechtstätigkeit, eine gesteigerte Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Sklavenkaninchen hervorrufen!«

So ereilten die Proletarier von Morbihan gefährliche Saturnalien. Während der ganzen Brunstzeit des Kometenviehs durften die Zuchttrotteln im Lichte weiden, sich an dem seltenen Spektakel ergötzen. Ob zu ihrem eigenen oder dem Verderben in so siderischer Luft geschaffener Kinder und Enkel — darüber fehlt nicht bloß in den Erzählungen der großen Weltfahrer der Vergangenheit, sondern sogar im Spektrum des Sternes jede Andeutung.