Venedig.

Die Leute meinten wieder, ich sey nicht gescheidt, als sie hörten, ich wolle zu Fusse von Triest über die Berge nach Venedig gehen und sagten, da würde ich nun wohl ein Bischen todt geschlagen werden: aber ich liess mich nicht irre machen und wandelte wieder den Berg herauf; zwar nicht den nehmlichen grossen Fahrweg, kam aber doch, nach ungefähr zwey Stunden Herumkreuzen am Ufer und durch die Weinberge, wieder auf die Heerstrasse. Ich besuchte die Höhlen von Korneale nicht, weil die ganze Gegend verdammt verdächtig aussah, und ich mich in der Wildniss doch nicht so ganz allein und wildfremd den Leuten in die Hände geben wollte. Die Berge, welche von Natur sehr rauh und etwas öde sind, waren sonst deswegen so unsicher, weil sie, wie die genuesischen, der Zufluchtsort alles Gesindels der benachbarten Staaten waren. Da ganz Venedig in Oestreichischen Händen ist, wird es nun der wachsamen Polizey leichter, Ordnung und Sicherheit zu erhalten. Man spürt in dieser Rücksicht schon den Vortheil der Veränderungen. An dem Zwickel der Berge kommt hier ein schöner Fluss aus der Erde hervor, der vermuthlich auch Höhlen bildet. Hier sind, nach aller Lokalität, gewiss Virgils Felsen des Timavus und ich sah stolz umher, dass ich nun ausgemacht den klassischen Boden betrat. Der Einschnitt zwischen den Bergen, oder das Thal zwischen Santa Croce und Montefalkone macht noch jetzt der Beschreibung der Alten Ehre. Unten rechts am Meere stand vermuthlich der Heroentempel im Haine, und links etwas weiter herauf am Ausflusse des Timavus war der Hafen. Ich schlug mich hier rechts von der geraden Strasse nach Venedig ab über die Berge hinüber nach Görz, welches sechs ziemlich starke Meilen von Triest liegt. Wenn man einmahl über die Berge hinüber ist, welche freylich etwas kahl sind, hat man die schönsten Weinthäler. Der Wein wird hier schon nach italiänischer Weise behandelt, hängt an Ulmen oder Weiden, und macht, wo die Gegend etwas nachhilft, schöne Gruppierungen.

Von Görz nach Gradiska sind die Berge links ziemlich sanft und man hat die grossen Höhen in beträchtlicher Entfernung rechts: und wenn man über Gradiska nach Palma Nuova heraus kommt, ist man ganz in der schönen Fläche des ehemahligen venetianischen Friaul, hat links fast lauter Ebene bis zur See und nur rechts die ziemlich hohen Friauler Alpen. Von Görz nach Udine stehen im Kalender fünf Meilen; aber Oestreichische Offiziere versicherten mich, es seyen gute sieben Meilen; und ich fand Ursache der Versicherung zu glauben. Palma Nuova war eine venetianische Gränzfestung, und nun hausen die Kaiserlichen hier. Sie exercierten eben auf dem grossen Platze vor dem Thore. Der Ort ist militärisch nicht ganz zu verachten, wenn er gut vertheidigt wird. Man kann nach allen Seiten hübsch rasieren, und er kann von keiner nahen Anhöhe bestrichen werden.

In Udine feyerte ich den neun und zwanzigsten Januar meinen Geburtstag, und höre wie. Ich hatte mir natürlich den Tag vorher schon vorgenommen, ihn recht stattlich zu begehen, und also vor allen Dingen hier Ruhetag zu halten. Der Name Udine klang mir so schön, war mir aus der Künstlergeschichte bekannt, und war überdiess der Geburtsort unserer braven Grassi in Dresden und Wien. Die grosse feyerlich tönende Abendglocke verkündigte mir in der dunkeln Ferne, denn es war schon Nacht als ich ankam, eine ansehnliche Stadt. Vor Campo Formido war ich im Dunkeln vorbey gegangen. Am Thore zu Udine stand eine östreichische Wache, die mich examinierte. Ich bat um einen Grenadier, der mich in ein gutes Wirthshaus bringen sollte. Gewährt. Aber ein gutes Wirthshaus war nicht zu finden. Ueberall wo ich hinein trat, sassen, standen und lagen eine Menge gemeiner Kerle bacchantisch vor ungeheuer grossen Weinfässern, als ob sie mit Bürger bey Ja und Nein vor dem Zapfen sterben wollten. Es kam mir vor, als ob Bürger hier seine Uebersetzung gemacht haben müsse; denn der lateinische Text des alten englischen Bischofs hat dieses Bild nicht. In dem ersten und zweyten dieser Häuser hatte ich nicht Lust zu bleiben; im dritten wollte man mich nicht behalten. Ruhig, dachte ich; du gehst auf die Wache: morgen wird sichs schon finden. Der Sergeant gestand mir gern Quartier zu, da ich der Wache für ihre Höflichkeit ein gutes Trinkgeld geben wollte. Nun holte man Brot und Wein für mich. Kaum war dieses da, so kam eine fremde Patrouille, einige Meilen weit her, welche ihr Quartier auch in der Wachstube nahm. Nun sagte der Sergeant ganz höflich, es sey kein Platz mehr da. Das sah ich auch selbst ein. Er machte auch Dienstschwierigkeiten, die ich als ein alter Kriegsknecht sehr bald begriff. Ich überliess Brot und Wein dem Ueberbringer und verlangte, man solle mich auf die Hauptwache bringen lassen. Das geschah. Dort fand ich mehrere Offiziere. Ich erzählte dem Wachhabenden meinen Fall und schloss mit der Meinung, dass ich doch Quartier haben müsse, und sollte es auch auf der Hauptwache seyn. Die Herren lärmten, fluchten und lachten und sagten, es gehe ihnen eben so; die Welschen schlugen die Deutschen todt nach Noten, wo sie konnten. Man schickte mich zum Platzmajor. Gut. Dieser foderte meinen Pass, fand ihn richtig, revidierte ihn, befahl, ich sollte mich den kommenden Morgen bey der Polizey melden, die ihn auch unterschreiben müsse, und machte einige Knasterbemerkungen über die Nothwendigkeit der guten Ordnung, an der ich gar nicht zweifelte. Das ist alles recht gut, sagte ich; aber ich kann kein Quartier finden. Ach das wird nicht fehlen, meinte er: aber es fehlt, meinte ich. Der alte Herr setzte sein Glas bedächtlich nieder, sah seine Donna an, rieb sich die Augenbraunen und schickte den Gefreyten mit mir und meinem Tornister alla nave. Der Gefreyte wies mich ins Schiff und ging. Als ich eintrat, sagte man mir, es sey durchaus kein Zimmer mehr leer; es sey alles besetzt. Ich that gross und bot viel Geld; aber es half nichts. Sie sollten es für den vierten Theil haben, antwortete mir eine alte ziemlich gedeihliche Frau; aber es ist kein Platz. Ich kann nicht fort, es ist spät; ich bin müde und es ist draussen kalt. Die Italiänerin machte es wie der Mann von Sankt Oswald, nur ganz höflich. Ich gehe nicht, sagte ich, wenn man mir nicht einen Menschen mitgiebt, der mich wieder auf die Hauptwache bringt. Den gab man. Nun war ich wieder auf der Hauptwache und erzählte und foderte Quartier. Man lärmte und fluchte und lachte von neuem. Ich versicherte nun bestimmt, ich würde hier bleiben. Wort gab Wort. Einer der Herren sagte lachend; Warten Sie, vielleicht bin ich noch so glücklich Ihnen Quartier zu verschaffen. Es ist eine verfluchte Geschichte; es geht uns oft auch so, wenn wir nicht mit Heereszug kommen: aber ich habe hier einige Bekanntschaft. Der Offizier ging einige hundert Schritte weit davon mit mir in ein Haus, hielt Vortrag, und ich erhielt sehr höflich Quartier. Zimmer und Bette waren herrlich. Nun wollte ich essen; da war nichts zu haben. Ma Signore; sagte die Wirthin, questa casa non è locanda; non si mangia qui. Ich hatte sieben Meilen im Januar gemacht und war auf, dem Pflaster noch eine Stunde herum trottiert; ich konnte mich nicht entschliessen spät in der Finsterniss noch einmahl auszugehen. Der Officier war fort. Ich sah grämlich aus, und man wünschte mir ohne Abendessen freundlich Felicissima notte: ich ging ärgerlich zu Bette und schlief herrlich. Den andern Morgen, an meinem Geburtstage, sollte ich auf die Polizey gehen. Der Sitz derselben war in vierzehn Tagen wohl vier Mahl verändert worden: man wies mich hier hin und dort hin, und ich fand sie nirgends.

Der Henker hohl' Euch mit der Polizey!
Es ist doch alles lauter Hudeley.

So dachte ich in meinem Aerger, kaufte mir eine Semmel und einige Aepfel in die Tasche, ging nach Hause, bezahlte den sehr billigen Preis für mein Quartier, stekte meinen Pass ohne die Polizey wieder in die Brieftasche und reiste zum Thore hinaus. Das war mein Geburtstag zum Morgen. Den Abend aber, denn zu Mittage konnte ich kein schickliches Haus finden und fastete, erholte ich mich ziemlich wieder zu Codroipo. Eine niedliche Piemonteserin, deren Mann ein Deutscher und Feldwebel bey einem kaiserlichen Regimente war, kam zu Fusse mit ihrem kleinen Jungen von ungefähr zwey Jahren von Livorno und ging nach Gräz. Du weisst ich liebe schöne reinliche Kinder in diesem Alter ungewöhnlich, und der Knabe fing so eben an etwas von der Sprache seines Vaters und etwas von der Sprache seiner Mutter zu stammeln und hatte sein grosses Wesen mit und auf meinem Tornister. Der Wirth brachte uns Polenta, Eyerkuchen und zweyerley Fische aus dem Tagliamento, gesotten und gebraten. Du siehst, dabey war kein Fleisch; das war also an meinem Geburtstage gefastet nach den besen Regeln der Kirche.

Der Weg zwischen Triest und Venedig ist ausserordentlich wasserreich; sehr viele grosse und kleine Flüsse kommen rechts von den Bergen herab, unter denen der Tagliamento und die Piave die vorzüglichsten sind. Zwischen Codroipo und Valvasone ging ich über den Tagliamento in vier Stationen, auf dem Rücken eines grossen ehrenfesten Charons, der seine langen Fischerstiefeln bis an die Taille hinauf zog. Der Fluss war jetzt ziemlich klein; und dieses ist zu solcher Zeit die Methode Fussgänger überzusetzen. Sein Bett ist über eine Viertelstunde breit und zeigt, wie wild er seyn muss, wenn er das Bergwasser herab wälzt. Wenn die Bäche gross sind, mag die Reise hier immer bedenklich seyn; denn man kann durchaus an den Betten sehen, welche ungeheuere Wassermenge dann überall herabströmt. Jetzt sind alle Wasser so schön und hell, dass ich überall trinke: denn für mich geht nichts über schönes Wasser. Die Wohlthat und den Werth davon zu empfinden, musst Du dich von den Engländern einmahl nach Amerika transportieren lassen, wo man in dem stinkenden Wasser fingerlange Fasern von Unrath findet, die Nase zuhalten muss, wenn man es durch ein Tuch geschlagen trinken will, und doch noch froh ist, wenn man die kocytische Tunke zur Stillung des brennenden Durstes nur noch erhält. So ging es uns, als wir in den amerikanischen Krieg zogen, wo ich die Ehre hattte dem König die dreyzehn Provinzen mit verlieren zu helfen.

In Pordenone traf ich das erste Mahl eine öffentliche Mummerey von Gassenmaskerade, musste bey gar jämmerlichen Fischen wieder fasten, und wäre übel gefahren, wenn mich ein kleines niedliches Mädchen vom Hause nicht noch mitleidig mit Kastanien gefüttert hätte. Hier sind in der Markuskirche einige hübsche Votivgemählde, mit denen man sich wohl eine halbe Stunde angenehm beschäftigen kann. Von Udine bis Pordenone ist viel dürres Land; doch findet man mit unter auch sehr schöne Weinpflanzungen. Die Deutschen stehen, wie Du aus der Geschichte von Udine gesehen hast, eben nicht in dem besten Kredit hier in der Gegend, und es ist kein Unglück für mich, dass man mich meistens für einen Franzosen hält, weil in meine Sprache sich oft ein französischer Ausdruck einschleicht. Wenn ich gleich sage und wiederhohle, ich sey ein Deutscher; so will man es doch nicht glauben. In der Vermuthung, ich müsse ein französischer Offizier seyn, der das Land umher durchzieht, werde ich oft recht gut bewirthet. Dergleichen Promenaden der Franzosen müssen also doch so ungewöhnlich nicht seyn. Signore è Francese, ma non volete dirlo; Fate bene, fate bene: sagte man mir mit sehr freundlichem Gesichte. Alles kommt freylich auf den Partheygeist an, der hier eben so mächtig ist, als irgendwo. Viele klagen über die Franzosen; aber die Meisten scheinen es doch nicht gern zu sehen, dass sie nicht mehr hier sind.

In Conegliano fand ich einige junge Kaufleute, die von Venedig kamen und den Weg nach Triest zu Fusse machen wollten, den ich eben gekommen war. Das Herz ward ihnen sehr leicht, als ich sagte, es gehe recht gut und es sey mir keine Gefahr aufgestossen: denn man hatte auch diesen Herrn von der andern Seite das Gehirn mit Schreckbildern angefüllt. Sodann war auch dort, wie er sich selbst in der Gesellschaft einführte, ein grosser Philosoph, ungarischer Hussarenunteroffizier, der hier den politischen Spion zu machen schien. Er donnerte gewaltig über die Revolution und brachte Anspielungen und indirekte Drohungen gegen meine Person, als dieses Verbrechens verdächtig. Der Wirth hat das Recht nach meinem Pass zu fragen, mein Herr, versetzte ich, als mir die Worte zu stark und zu deutsch wurden: wenn Sie aber glauben, dass es nöthig ist, so führen Sie mich vor die Behörde zur Untersuchung. Uebrigens erbitte ich mir von ihrer Philosophie etwas Humanität. Das wirkte: der Mann fing nun an ein halbes dutzend Sprachen zu sprechen, und vorzüglich das Italiänische und Ungarische mit einer horrenden Volubilität. So bald wir nur lateinisch zusammen kamen, waren wir Freunde, und er war sogleich von meiner politischen Orthodoxie überzeugt: und als ich ihn vollends zu meinem Wein mit Pastetchen ehrenvoll einlud, gehörten wir durchaus zu Einer Sekte. Er hielt sich an den Wein, ich mich an die Pastetchen, und alle Coneglianer, Trevisaner und Venetianer staunten den Strom von Gelehrsamkeit an, den der Mann aus seinem Schatze hervorgoss.

Von Conegliano bis Treviso hatte ich mir auf einem eingefallenen Steinchen die Ferse blutig getreten, und gab zum ersten Mahl den Zudringlichkeiten eines Vetturino nach, der mich für sechs Liren nach Mestre bringen wollte. Mit der Bedingung, dass ich gleich abginge, liess ich mir die Sache gefallen: denn ich wollte noch gern diesen Abend in Mestre seyn, um den folgenden Morgen zeitig nach Venedig überzusetzen. Sechs Liren war mir ein unbegreiflich niedriger Preis für einen vollen Wagen mit zwey guten Pferden, den er mir von dem Wirthshause als mein Fuhrwerk zeigte; so dass ich nicht wusste was ich denken sollte. Aber vor der Stadt hielt er an und packte noch einen venetianischen Kaufmann und eine Tyrolerin ein, die als Kammerjungfer ihrer Gräfin nachreiste; und nun begriff ich freilich. Von Conegliano aus ist der Weg schon sehr frequent und die Landhäuser werden häufiger und schöner; und von Treviso ist es fast lauter schöner mit Villen besetzter Garten. Die Tyrolerin sentimentalisierte darüber ununterbrochen deutsch und italiänisch; der Italiäner war ein gar artiger Kerl, und da kamen denn die Leutchen bald in einen Ton allerliebster Zweydeutigkeiten, zu dem die deutsche Sprache, wenigstens die meinige, gar nicht geeignet ist: und doch kann man nicht sagen, dass sie geradezu in Unanständigkeit ausgeartet wären. Bloss der unreine Nasenton der Tyrolerin missfiel mir; und da ich bey der zufälligen Lüftung des Halstuches in der untern Gegend des Kinnbackens einige beträchtliche Narben erblickte, war ich sehr froh, dass ich mit excessiver Artigkeit dem Venetianer die Ehrenstelle neben ihr im Fond überlassen hatte. Ich erhielt meinen Theil Witz von den Leutchen für meine überstoische Laune und Taciturnität, und rettete mich von dem Prädikat eines Gimpels vermuthlich nur durch meine Unkunde in der italiänischen Sprache und einige Sarkasmen, die ich ganz trocken hinwarf. In Mestre wollte mich die Dame aus Artigkeit mit in ihr Hotel nehmen und meinte, ich könnte morgen mit der Gräfin zusammen die Ueberfahrt nach dem schönen Venedig machen: aber ich fand eine Gesellschaft von Venetianern, die noch diesen Abend übersetzen wollte und schloss mich an. Wir ruderten den Kanal hinunter. Die Andern waren alle Einheimische und hatten weiter nichts nöthig als dieses zu sagen; aber ich Fremdling musste einige Zeit auf der Wache warten, bis der Offiziant meinen Pass gehörig registriert hatte. Er behielt ihn, und gab mir einen Passierzettel, nach östreichischer Sitte, mit der Weisung, mich damit in Venedig auf der Polizey zu melden. Das foderte etwas Zeit, da der Herr etwas Myops und kein Tachygraph war; und meine Gesellschafter waren über den Aufenthalt etwas übellaunig. Doch das gab sich bald. Man fragte mich, als ich zurück kam, mit vieler Artigkeit und Theilnahme, wer ich sey? wohin ich wolle? und dergleichen; und wunderte sich höchlich als man hörte, dass ich zu Fusse allein einen Spaziergang von Leipzig nach Syrakus machen wollte. Der Abend war schön, und ehe wir es uns versahen, kamen wir am Rialto an, wovon ich aber jetzt natürlich weiter nichts als die magische Erscheinung sah. Ein junger Mann von Conegliano, mit dem ich während der ganzen Ueberfahrt viel geplaudert hatte, begleitete mich durch eine grosse Menge enge Gässchen in den Gasthof The Queen of England; und da hier alles besetzt war zum goldnen Stern, nicht weit vom Markusplatze, wo ich für billige Bezahlung ziemlich gutes Quatier und artige Bewirthung fand.

Den dritten Februar, wenn ich mich nicht irre, kam ich in Venedig an, und lief gleich den Morgen darauf mit einem alten abgedankten Bootsmann, der von Lissabon bis Konstantinopel und auf der afrikanischen Seite zurück die ganze Küste kannte, und jetzt den Lohnbedienten machen musste, in der Stadt herum; sah mehr als zwanzig Kirchen in einigen Stunden, von der Kathedrale des heiligen Markus herab bis auf das kleinste Kapellchen der ehemaligen Beherrscherin des Adria. Wenn ich Künstler oder nur Kenner wäre, könnte ich Dir viel erzählen von dem was da ist und was da war. Aber das alles ist Dir wahrscheinlich schon aus Büchern bekannt; und ich würde mir vielleicht weder mit der Aufzählung noch mit dem Urtheil grosse Ehre erwerben. Der Pallast der Republik sieht jetzt sehr öde aus, und der Rialto ist mit Kanonen besetzt. Auch am Ende des Markusplatzes nach dem Hafen zu haben die Oestreicher sechs Kanonen stehen, und gegen über auf Sankt George hatten schon die Franzosen eine Batterie angelegt, welche die Kaiserlichen natürlich unterhalten und erweitern. Die Parthie des Rialto hat meine Erwartung nicht befriedigt; aber der Markusplatz hat sie, auch so wie er noch jetzt ist, übertroffen.

Es mögen jetzt ungefähr drey Regimenter hier liegen, eine sehr kleine Anzahl für ernsthafte Vorfälle. So wie die Stimmung jetzt ist, nähme und behauptete man mit zehn tausend Mann Venedig; wenn man nehmlich im Anfange energisch und sodann klug und human zu Werke ginge. Das Militär und überhaupt die Bevölkerung zeigt sich meistens nur auf dem Markusplatze, am Hafen, am Rialto und am Zeughause; die übrigen Gegenden der Stadt sind ziemlich leer. Wenn man diese Parthien gesehen hat und einige Mahl den grossen Kanal auf und abgefahren ist, hat Venedig vielleicht auch nicht viel Merkwürdiges mehr; man müsste denn gern Kirchen besuchen, die hier wirklich sehr schön sind.

Das Traurigste ist in Venedig die Armuth und Betteley. Man kann nicht zehn Schritte gehen, ohne in den schneidendsten Ausdrücken um Mitleid angefleht zu werden; und der Anblick des Elends unterstützt das Nothgeschrey des Jammers. Um alles in der Welt möchte ich jetzt nicht Beherrscher von Venedig seyn; ich würde unter der Last meiner Gefühle erliegen. Schon Küttner hat viele Beyspiele erzählt, und ich habe die Bestätigung stündlich gesehen. Die niederschlagendste Empfindung ist mir gewesen. Frauen von guter Familie in tiefen, schwarzen, undurchdringlichen Schleyern kniend vor den Kirchenthüren zu finden, wie sie, die Hände gefaltet auf die Brust gelegt, ein kleines hölzernes Gefäss vor sich stehen haben, in welches die vorübergehenden einige Soldi werfen. Wenn ich länger in Venedig bliebe, müsste ich nothwendig mit meiner Börse oder mit meiner Empfindung Bankerott machen.

Drollig genug sind die gewöhnlichen Improvisatoren und Deklamatoren auf dem Markusplatze und am Hafen, die einen Kreis um sich her schliessen lassen und für eine Kleinigkeit irgend eine berühmte Stelle sprechen, oder auch aus dem Stegreife über ein gegebenes Thema theils in Prose theils in Versen sogleich mit solchem Feuer reden, dass man sie wirklich einige Mahl mit grossem Vergnügen hört. Du kannst Dir vorstellen, wie geringe die Summe und wie erniedrigend das Handwerk seyn muss. Eine Menge Leute von allen Kalibern, Lumpige und Wohlgekleidete, sassen auf Stühlen und auf der Erde rund herum und warteten auf den Anfang, und eine Art von buntscheckigem Bedienten, der seinem Prinzipal das Geld sammelte, rief und wiederholte mit lauter Stimme: Manca ancora cinque soldi; ancora cinque soldi! Jeder warf seinen Soldo hin, und man machte gewaltige Augen, als ich einige Mahl mit einem schlechten Zwölfkreuzerstück der Foderung ein Ende machte und die Arbeit beschleunigte. Welch ein Abstand von diesen Improvisatoren bis zu den römischen, von denen wir zuweilen in unsern deutschen Blättern lesen!

Auf der Giudekka ist es, wo möglich, noch ärmlicher als in der Stadt; aber eben desswegen sind dort nicht so viele Bettler, weil vielleicht niemand hoffen darf, dort nur eine leidliche Ernte zu halten. Die Erlöserskirche ist daselbst die beste, und ihre Kapuziner sind die Einzigen, die in Venedig noch etwas schöne Natur geniessen. Die Kirche ist mit Orangerie besetzt, und sie haben bey ihrem Kloster, nach der See hinaus, einen sehr schönen Weingarten. Diese, nebst einigen Oleastern in der Gegend des Zeughauses, sind die einzigen Bäume, die ich in Venedig gesehen habe. Die Insel Sankt George hält bekanntlich die Kirche und das Kapitel, wo der jetzige Papst gewählt wurde, und wo auch noch sein Bildniss ist, das bey den Venetianern von gemeinem Schlage in ausserordentlicher Verehrung steht. Der Maler hat sein mögliches gethan, die Draperie recht schön zu machen. Die Kirche selbst ist ein gar stattliches Gebäude, und wie ich schon oben gesagt habe, mit Batterien umgeben.

Die Venetianer sind übrigens im Allgemeinen höfliche, billige, freundschaftliche Leute, und ich habe von Vielen Artigkeiten genossen, die ich in meinem Vaterlande nicht herzlicher hätte erwarten können. Einen etwas schnurrigen Auftritt hatte ich vor einigen Tagen auf dem Markusplatze. Man hatte mich beständig in dem nehmlichen Reiserocke, (die Ursache war, weil ich keinen andern hatte, da ich keinen andern im Tornister tragen wollte,) an den öffentlichen Orten der Stadt herum laufen sehen, und doch gesehen, dass ich mit einem Lohnbedienten lief und Liren verzehrte. Ich zahlte dem Bedienten jeden Abend sein Geld, wenn ich ihn nicht mehr brauchte; dieses geschah diesen Abend, da es noch ganz hell war, auf dem Markusplatze. Einige Dirnen der Aphrodite Pandemos mochten bemerkt haben, dass ich bey der Abzahlung des Menschen eine ziemliche Handvoll silberner Liren aus der Tasche gezogen hatte, und legten sich, als der Bediente fort war und ich allein gemächlich nach Hause schlenderte, ganz freundlich und gefällig an meinen Arm. Ich blieb stehen und sie thaten das nehmliche. Man gruppierte sich um uns herum, und ich bat sie höflich, sich nicht die Mühe zu geben mich zu inkommodieren. Sie fuhren mit ihrer artigen Vertraulichkeit fort, und ich ward ernst. Sie waren beyde ganz hübsche Sünderinnen, und trugen sich ganz niedlich und anständig mit der feineren Klasse. Ich demonstrierte in meinem gebrochenen Italiänisch so gut ich konnte, sie möchten mich in Ruhe lassen. Es half nichts; die Gesellschaft in einiger Entfernung lächelte und Einige lachten sogar. Eine von den beyden Nymphchen schmiegte sich so schmeichelnd als möglich an mich an. Da ward ich heiss und fing an in meinem stärksten Basstone auf gut Russisch zu fluchen, mischte so etwas von Impudenza und senza vergogna dazu, stampfte mit meinem Knotenstocke emphatisch auf das Pflaster, dass die Gesellschaft sich schüchtern zerstreute und die erschrockenen Geschöpfchen ihren Weg gingen.

Ein anderer, etwas ernsthafterer Vorfall beschäftigte mich fast eine halbe Stunde. Ich verschliesse den Abend mein Zimmer und lege mich zu Bette. Als ich den Morgen aufstehe, finde ich meine Kleider, die neben mir auf einem andern Bette lagen, ziemlich in Unordnung und meinen Huth herab geworfen. Das Schloss war unberührt und mir fehlte übrigens nichts. Ich dachte hin und her und konnte nichts heraus grübeln, und mir schwebten mancherley sonderbare Gedanken von der alten venetianischen Polizey vor dem Gehirne; so dass ich sogleich, als ich mich angezogen hatte, zu dem Kellner ging und ihm den Vorfall erzählte. Das Haus war gross und voll. Da erhielt ich denn zu meiner Beruhigung den Aufschluss, es seyen die Nacht noch Fremde angekommen, und man habe noch eine Matratze gebraucht, und sie aus dem Bette neben mir mit dem Hauptschlüssel abgeholt. Hätte ich nun die Sache nicht gründlich erfahren, wer weiss was ich mir noch für Einbildungen gemacht hätte.

Jetzt ist meine Seele voll von einem einzigen Gegenstande, von Canovas Hebe. Ich weiss nicht, ob Du die liebenswürdige Göttin dieses Künstlers schon kennst; mich wird sie lange, vielleicht immer beherrschen. Fast glaube ich nun, dass die Neuen die Alten erreicht haben. Sie soll eines der jüngsten Werke des Mannes seyn, die ewige Jugend. Sie steht in dem Hause Alberici, und der Besitzer scheint den ganzen Werth des Schatzes zu fühlen. Er hat der Göttin einen der besten Plätze, ein schönes helles Zimmer nach dem grossen Kanal, angewiesen. Ich will, ich darf keine Beschreibung wagen; aber ich möchte weissagen, dass sie die Angebetete der Künstler und ihre Wallfahrt werden wird. Ich habe die Mediceerin noch nicht gesehen; aber nach allen guten Abgüssen von ihr zu urtheilen, ist hier für mich mehr als alle veneres cupidinesque.

Ich stand von süssem Rausche trunken,
Wie in ein Meer von Seligkeit versunken,
Mit Ehrfurcht vor der Göttin da,
Die hold auf mich herunter sah,
Und meine Seele war in Funken:
Hier thronte mehr als Amathusia.
Ich war der Sterblichkeit entflogen,
Und meine stillen Blicke sogen
Aus ihrem Blick Ambrosia
Und Nektar in dem Göttersaale;
Ich wusste nicht, wie mir geschah:
Und stände Zevs mit seinem Blitze nah,
Vermessen griff' ich nach der Schale,
Mit welcher sie die Gottheit reicht,
Und wagte taumelnd jetzt vielleicht
Selbst dem Alciden Holm zu sagen,
Und mit dem Gott um seinen Lohn zu schlagen. —

Du denkst wohl, dass mich das marmorne Mädchen etwas ausser mich gebracht hat; und so mag es allerdings seyn. Der Italiäner betrachtete meine Andacht eben so aufmerksam, wie ich seine Göttin. Diese einzige Viertelstunde hat mir meine Reise bezahlt; so ein sonderbar enthusiastischer Mensch bin ich nun zuweilen. Es ist die reinste Schönheit, die ich bis jetzt in der Natur und in der Kunst gesehen habe; und ich verzweifle selbst mit meinem Ideale höher steigen zu können. Ich muss Canovas Hände küssen, wenn ich nach Rom komme, wo er, wie ich höre, jetzt lebt. Das goldene Gefäss, die goldene Schale und das goldene Stirnband haben mich gewiss nicht bestochen; ich habe bloss die Göttin angebetet, auf deren Antlitz alles, was der weibliche Himmel liebenswürdiges hat, ausgegossen ist. In das Lob der Gestalt und Glieder und des Gewandes will ich nicht eingehen; das mögen die Geweiheten thun. Alles ist des Ganzen würdig.

In dem nehmlichen Hause steht auch noch ein schöner Gypsabguss von des Künstlers Psyche. Sie ist auch ein schönes Werk; aber meine Seele ist zu voll von Hebe, um sich zu diesem Seelchen zu wenden. In dem Zimmer, wo der Abguss der Psyche steht, sind rund an den Wänden Reliefs in Gyps von Canovas übrigen Arbeiten. Eine Grablegung des Sokrates durch seine Freunde. Die Scene, wo der Verurtheilte den Becher nimmt. Der Abschied von seiner Familie. Der Tod des Priamus nach Virgil. Der Tanz der Phäacier in Gegenwart des Ulysses, wo die beyden tanzenden Figuren vortrefflich sind: und die opfernden Trojanerinnen vor der Minerva, unter Anführung der Hekuba. Alles ist eines grossen und weisen Künstlers würdig; aber Hebe hat sich nun einmahl meines Geistes bemächtiget und für das übrige nichts mehr übrig gelassen. Wenn der Künstler, wie man glaubt, nach einem Modell gearbeitet hat, so möchte ich für meine Ruhe das Original nicht sehen. Doch, wenn dieses auch ist, so wird seine Seele gewiss es erst zu diesem Ideal erhoben haben, das jetzt alle Anschauer begeistert.

Da meine Wohnung hier nahe am Markusplatze ist, habe ich fast stündlich Gelegenheit die Stellen zu sehen, auf welchen die berühmten Pferde standen, die nun, wie ich höre, den konsularischen Pallast der Gallier bewachen sollen. Sonderbar; wenn ich nicht irre, erbeuteten die Venetianer, in Gesellschaft mit den Franzosen, diese Pferde nebst vielen andern gewöhnlichen Schätzen. Die Venetianer liessen ihren Verbündeten die Schätze und behielten die Pferde; und jetzt kommen die Herren und holen die Pferde nach. Wo ist der Bräutigam der Braut, der jährlich sein Fest auf dem adriatischen Meere feyerte? Die Britten gingen seit geraumer Zeit schon etwas willkührlich und ungebührlich mit seiner geliebten Schönen um; und nun ist er selbst an der Apoplexie gestorben, und ein Fremder nimmt sich kaum mehr Mühe seinen Bucentaur zu besehen. Venedig wird nun nach und nach von der Kapitale eines eigenen Staats zur Guvernementsstadt eines fremden Reichs sich modificieren müssen; und desto besser für den Ort, wenn dieses sanft, von der einen Seite mit Schonung und von der andern mit gehöriger Resignation geschieht.

Gestern ging ich nach meinem Passe, der auf der Polizey gelegen hatte und dort unterschrieben werden musste. Ich bin überhaupt kein grosser Wälscher, und der zischende Dialekt der Venetianer ist mir gar nicht geläufig. Ich konnte in der Kanzley mit dem Ausfertiger nicht gut fertig werden, und man wies mich in ein anderes Zimmer an einen andern Herrn, der fremde Zungen reden sollte. In der Meinung, er würde unter einem deutschen Monarchen auch wohl deutsch sprechen, sprach ich Deutscher deutsch. Non son asino ferino, antwortete der feine Mann, per ruggire tedesco. Das waren, glaube ich, seine Worte, die freylich eine grelle Ausnahme von der venetianischen Höflichkeit machten. Die Anwesenden lachten über den Witz, und ich, um zu zeigen dass ich wider sein Vermuthen wenigstens seine Galanterie verstanden hatte, sagte ziemlich mürrisch: Mais pourtant, Monsieur, il est à croire qu'il y quelqu'un ici, qui sache la langue de votre Souverain. Das machte den Herrn etwas verblüfft; er fuhr ganz höflich französisch fort sich zu erkundigen, sagte mir, dass mein Pass ausgefertiget sey, und in drey Minuten war ich fort. Ich erzähle Dir dieses nur als noch einen neuen Beweis, wie man gegen unsere Nation gestimmt ist. Diese Stimmung ist ziemlich allgemein, und die Oestreicher scheinen sich keine sonderliche Mühe zu geben, sie zu ändern.

Morgen will ich über Padua am Adria hinab wandeln und mich so viel als möglich dem Meere nahe halten, bis ich hinunter an den Absatz des Stiefels komme und mich an den Aetna hinüber bugsieren lassen kann. Die Sache ist nicht ganz leicht. Denn unter Ankona bey Loretto endigt die Poststrasse; und durch Abbruzzo und Kalabrien mag es nicht gar wegsam und wirthlich seyn: sed non sine dis animosus infans. Ich weiss, dass mich Deine freundschaftlichen Wünsche begleiten, so wie Du überzeugt seyn wirst, dass meine Seele oft bey meinen Freunden und also auch bey Dir ist.